Während die Historiographie spätestens seit dem Aufkommen
positivistischer Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert den Anspruch
hat, Geschichte möglichst objektiv und wirklichkeitsgetreu darzustellen,
d. h. ohne subjektive „Hinzudichtungen“ – ein Anspruch, den sie allein
schon ihrer sprachlichen Verfasstheit wegen nur bedingt einzulösen
vermag –, verhält es sich bei explizit poetischen Geschichtsentwürfen
ein wenig anders. Fiktionalität wird hier zum bewusst eingesetzten
Modus, um sich Vergangenem (auf neue Art) zu nähern. Anhand von
ausgewählten Texten der Gegenwartsliteratur (W. G. Sebald, Daniel
Kehlmann, Christian Kracht, Marcel Beyer, Nora Krug u. a.) sollen im
Seminar die verschiedenen Genres und Spielarten dieser Annäherung
untersucht werden. Wodurch unterscheiden sich die Zugänge zur Geschichte
in den verschiedenen Gattungen, etwa im historischen Roman und in
Autofiktionen? Welche Erzähltechniken und Medien (z. B. Fotografien,
Dokumente und Zeichnungen) werden genutzt, um historische Wirklichkeit
zu simulieren oder auch zu problematisieren? Wie wird das
spannungsreiche Verhältnis zwischen Faktualität und Fiktionalität in den
Texten selbst reflektiert? Welche Fragen werfen kontrafaktische
Geschichtsdarstellungen auf, d. h. solche, die historische Ereignisse
oder Verläufe gezielt verändern?
- Kursverantwortliche/r: Denise Reimann