Kurseinschreibung

Spätestens seit dem 19. Jahrhundert sind populäre Musik und Tanz untrennbar miteinander verbunden. Das zeigt sich an der Tatsache, dass Genre-Bezeichnungen wie Walzer, Hip Hop, Swing, Kuduro, Mazurka, Salsa, Rock&Roll heiße Debatten darüber auslösen, ob es sich dabei um Musik oder Tanz handele. Oft haben Tanzmoden die Entwicklung neuer Musikstile vorangetrieben und umgekehrt. In den 1980er Jahren machte die Jamaikanerin Marcia Griffith den "Electric Slide" in Großbritannien und den USA populär. In Angola firmiert diese Gruppenchoreographie unter dem Namen "Dança da família" (Tanz der Familie) und wird als südafrikanisches Phänomen angesehen. In philippinischen Gefängnissen müssen Insassen Michael Jacksons "Thriller"- Choreographie tanzen, um sich einer moralisch-körperlichen Läuterung zu unterwerfen. Viel öfter aber haben populäre Tänze auf der Bühne, der Straße oder im Salon Stürme moralischer Entrüstung ausgelöst. Das Tanzen der Sarabande wurde im 16. Jahrhundert verboten unter Androhung von Peitschenhieben, sechs Jahren Galeere und Landesverweis. Spätestens seit dieser Zeit galten populäre Tänze immer wieder als Agenten moralischen Verfalls. Der Umgang mit ihnen dient uns somit als Gradmesser jeweils geltender gesellschaftlicher Normen.

In der musikwissenschaftlichen Auseinandersetzung oft fehlinterpretiert, zu kurz gefasst oder komplett übergangen stellt populärer Tanz einen wichtigen Zugang zu Praktiken populärer Musik dar. Neben mimetischem Erlernen im lokalen Kontext sind Tanzanleitungen zentral für die Verbreitung populärer Tänze. Sie stellen wichtige historische Quellen der ansonsten flüchtigen Bewegungspraxis dar. Gawlikowski musste im 19. Jahrhundert einräumen, dass die Mazurka in Polen so kompliziert getanzt werde, dass er sie nur vereinfacht in seinen verbalen Pariser Anleitungen wiedergeben könne. Tanzanleitungen gehen aber auch mit dem Medienwandel. Eine durch die Digitalisierung befürchtete Entkörperlichung blieb nicht nur aus - vielmehr haben digitale Medien wie Mobilvideo Körperlichkeit intensiviert. Dies lässt sich anschaulich an kompetitiven Tanzpraxen wie Dancehall oder Kuduro analysieren, deren Videodokumente in dynamischem Austausch mit Tanzpraxis stehen.

In der Vorlesung lernen wir populäre Gruppen-, Kreis-, Paar- und Individualtänze kennen. Die Beschäftigung mit populärem Tanz ermöglicht uns Zugang zu Konzepten wie Entrainment, Erinnerungskultur, Battle Culture, Gender, Archiv und Repertoire, Migration und Digitalisierung. Diese Vorlesung kann zur Vorbereitung der Exkursion nach Lissabon besucht werden.


Semester: SoSe 2020
langecar
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