Kurseinschreibung

"On ne connaît point l'enfance" ("Man kennt die Kindheit durchaus nicht"), heißt es zu Beginn von Jean-Jacques Rousseaus epochemachender Erziehungsschrift "Émile ou de l'éducation" (1762). Der Satz steht für die 'Entdeckung' der Kindheit um die Mitte des 18. Jahrhunderts, er markiert aber auch eine Grenze der Erkennbarkeit. Inwiefern kann Kindheit zu einem Gegenstand theoretischen und/oder angewandten Wissens werden – in der Anthropologie, der Psychologie, der Pädagogik? Wie zugänglich oder wie unverfügbar sind kindliche Erfahrungswelten aus erwachsener Perspektive? Und bis zu welchem Grad lässt sich die grundsätzlich problematische Individualität des modernen Menschen auf die Kindheit zurückführen oder gar aus ihr erklären? Das SE soll erkunden, wie Kinder und Kindheit vor dem Hintergrund solcher Fragen zu einem ebenso zentralen wie herausfordernden Thema für die Literatur des 19. Jahrhunderts werden. Dafür werden wir in einem historischen Längsschnitt Texte verschiedener Gattungen auf ihre jeweils spezifischen literarischen Techniken hin untersuchen: von der geschichtsphilosophisch grundierten Kindheits-Emphase der Frühromantik (Novalis, Friedrich Schlegel, Jean Paul) über die Kinderfiguren in romantischen Märchen, Erzählungen und Gedichten (Brüder Grimm, E.T.A. Hoffmann, Friedrich Rückert) bis zu den Kindheitsdarstellungen im Realismus (Adalbert Stifter, Gottfried Keller) und Naturalismus (Marie von Ebner-Eschenbach, Gerhart Hauptmann) sowie in der zeitgenössischen Literatur für Kinder (Heinrich Hoffmann, Johanna Spyri).

Forschungsliteratur zur Einführung:

Davide Giuriato/Philipp Hubmann/Mareike Schildmann (Hg.): Kindheit und Literatur. Konzepte – Poetik – Wissen. Freiburg 2018.
Caroline Roeder (Hg.): Topographien der Kindheit. Literarische, mediale und interdisziplinäre Perspektiven auf Orts- und Raumkonstruktionen. Bielefeld 2014.
Angela Winkler: Das romantische Kind. Ein poetischer Typus von Goethe bis Thomas Mann. Frankfurt a.M. 2000.

Semester: SoSe 2020
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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