Durch die Ausbreitung kostengünstiger Video- und digitaler
Filmtechnologien seit den 1980er Jahren haben sich die Materialität und
quantitative Dimension visueller Familienarchive grundlegend verändert.
Auch ohne formale Ausbildung können Individuen zu Chronisten oder
Interpret*innen ihres eigenen (Familien)Lebens werden und ihre home
movies nunmehr über digitale Netzwerkmedien speichern und zirkulieren.
Aus nichtprofessionellen Filmpraktiken sind mitunter auch neue Berufe
entstanden, wie zum Beispiel der „wedding filmer“ in Indien.
Ausgebildete Regisseur*innen nutzen den Zugriff auf diese neuen
Familienarchive und insbesondere ihre reflexive „Selbsteinschreibung“ in
Filme wiederum, um sich damit bewusst jenseits der ideologischen und
formalen Vorgaben an nichtfiktionale Filme zu positionieren, die in
Indien über mehrere Jahrzehnte als normativ galten. Vor dem Hintergrund
eines developmentalistischen Medienverständnisses galten lange Zeit nur
solche Formen des Dokumentarfilms als relevant, die leicht als
„politische Filme“ kategorisiert werden konnten Inzwischen finden
experimentelle, selbstreflexive oder (auto)biografische Dokumentarfilme
jedoch auch vermehrt Förder- und Distributionsmöglichkeiten und vor
allem ein interessiertes Publikum, auch außerhalb Indiens.
In der
ersten Arbeitsphase des digitalen Seminars erarbeiten wir uns anhand von
Schlüsseltexten zum Wandel dokumentarfilmischer Praktiken und der
Herausbildung neuer Formen und Formate einen Überblick über die
Entwicklung und begleitende Debatten seit den 1980er Jahren. Die zweite
Arbeitsphase ist der Auseinandersetzung mit den Entstehungsbedingungen
sowie der (globalen) Form des autobiografischen Dokumentarfilms
gewidmet. In der dritten und abschließenden Arbeitsphase steht die
Diskussion in Gruppen, Analyse von Filmen und abschließende Präsentation
- in Form einer multimedialen PPT, eines Podcasts oder einer
Videopräsentation - im Vordergrund. Den Fokus werden wir dabei auf Filme
indischer Regisseur*innen richten, die ihre Familien(geschichten)
porträtieren. Dieser dezidiert subjektive Zugang zu den ‚inneren‘
Realitäten ihrer familiären Beziehungen und die Reflexion ihres eigenen
Werdens als aktiv selbst zu gestaltender Prozess wird in den Filmen
jedoch vielfach mit den ‚äußeren‘ Realitäten der indischen Gesellschaft
und Geschichte verbunden, wodurch sie für regionalwissenschaftliche
Fragestellungen zusätzlich an Relevanz gewinnen.
Voraussetzungen für
eine gewinnbringende Teilnahme an diesem digitalen Seminar ist die
regelmäßige Anwesenheit und sorgfältige Bearbeitung der Aufgaben in
Moodle, auch die Bereitschaft, sich aktiv online in kleineren
Arbeitsgruppen auszutauschen und zusammenzuarbeiten, ist sehr erwünscht.
Arbeitsleistungen: Textlektüre, Bearbeitung von zwei schriftlichen Aufgaben zu ausgewählten Texten und Filmen, multimediale (Gruppen-)Präsentation zu einer Filmanalyse
- Kursverantwortliche/r: Nadja-Christina Schneider