Gegenstand des Seminars sind narrative Texte, deren inhaltliche Gemeinsamkeit im Wechsel einer aus der Arbeiterklasse stammenden Erzählinstanz in ein bürgerliches, intellektuelles Milieu besteht. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um autobiographische (oder autosoziobiographische) Texte, deren Autor:innen selbst einen „transfuge de classe“ erlebt haben und ihre Erfahrungen mit Diskriminierungen, Entfremdungen und ‚sozialer Scham‘ erzählerisch zur Darstellung bringen. Zeitgenössische Autor:innen wie Annie Ernaux, Didier Eribon, Édouard Louis oder Rose-Marie Lagrave nehmen dabei explizit Bezug auf Pierre Bourdieus Konzepte von der reproduction sociale und vom habitus clivé und scheinen damit die soziologische Theorien zu illustrieren. Wie gelingt diese Verzahnung von Soziologie und Literatur? Wie ist die Textsorte Autosoziobiographie einzuordnen: Geht es um eine Rückkehr zum selbstmächtigen Ich Rousseaus oder eher zu einem pikaresken Ich, das die Gesellschaft ‚von unten‘ betrachtet? Inwiefern können die an der Soziologie orientierten Transclasse-Narrative literaturgeschichtlich als ‚neuer Realismus‘ und/oder als littérature engagée eingestuft werden? Im Seminar wird sowohl die Soziologie Bourdieus näher beleuchtet als auch die Autosoziobiographien von Annie Ernaux (La place, Une femme) Didier Eribon (Auszüge aus Retour à Reims und La société comme verdict), Édouard Louis (En finir avec Eddy Bellegueule, Changer méthode) und Rose-Marie Lagrave (Se ressaisir. Enquête autobiographique d’une transfuge de classe féministe). Im Anschluss soll auch ein Blick zurückgeworfen werden auf die Literatur des Realismus und Naturalismus (Stendhals Vie de Henry Brulard, Émile Zolas Les Rougon-Macquard) und der Frage nachgegangen werden, inwiefern Stendhals Autobiographie und Zolas Projekt eine Histoire sociale als Vorläufer gegenwärtiger Autosoziobiographien angesehen werden können. Empfohlene Literatur: Chantal Jaquet: Les transclasses ou la non-reproduction, Paris 2014 (dt. Zwischen den Klassen. Über die Nicht-Reproduktion sozialer Macht, Konstanz 2018). |
- Kursverantwortliche/r: SHK Julia Erin Dunn
- Kursverantwortliche/r: SHK Miriam Hörsch
- Kursverantwortliche/r: PD Dr. Jutta Weiser