Im April 1824 stirbt der wohl bekannteste Dichter Europas in der
griechischen Hafenstadt Mesolongi: Lord Byron. Er hat sich dort seit
Januar des Jahres aufgehalten, um auf griechischer Seite aktiv an
dem Unabhängigkeitskrieg teilzunehmen, in dem die Griechen seit 1821
gegen die seit dem 15. Jahrhundert bestehende osmanische Herrschaft
rebellieren. Byron hat sich zunächst vor allem durch seine umfangreiche
finanzielle Unterstützung ausgezeichnet; schließlich will er selbst
militärisch in das Geschehen eingreifen. Das Fieber, an dem er stirbt,
verhindert, dass er die von ihm befehligten Truppen in ihre erste
Schlacht führen kann.
Byrons Einsatz für die griechische Sache
verschafft ihr noch größere Aufmerksamkeit, als ihr ohnehin schon in
weiten Teilen Europas zuteilwird. Der Unabhängigkeitskampf wird nun
endgültig ein Thema der Literatur – und ein Anlass literarischen
Engagements. Nicht nur erscheint im Laufe der 1820er Jahre eine Vielzahl
,griechischer Lieder‘ und anderer Dichtungen, die das moderne
Griechenland und die osmanische Herrschaft thematisieren – etliche
Publikationen werden sogar ganz explizit unternommen, um Spendengelder
für die griechischen Truppen zu sammeln.
Diese Phase des
europäischen ,Philhellenismus‘ ist Gegenstand des Seminars. Es soll die
Vielfalt der literarischen Reaktionen auf den griechischen
Unabhängigkeitskrieg vorstellen. Dazu gehört die – insbesondere im
deutschen Sprachraum wirkmächtige – klassizistische Rezeption der antik
griechischen Kunst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenso
wie die Verschränkung der politischen Diskurse des Bürgertums in der
frühen Restaurationszeit mit der Befürwortung der griechischen
Unabhängigkeit. Norbert Miller hat von einer ,Identität‘ des
(literarischen) Philhellenismus mit der europäischen Byron-Rezeption
gesprochen – auch dies verdient im Rahmen des Seminars größere
Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt gilt es auch, einen Blick auf die
zeitgenössische griechische Literatur selbst zu werfen. Den Kern der
Beschäftigung soll bei alledem aber die deutschsprachige Literatur
ausmachen, die jedoch in ihren größeren, europäischen Kontexten zu
verorten ist.
Fremdsprachenkenntnisse (über das Englische hinaus)
sind für die Teilnahme nicht nötig. Die gründliche, vorbereitende
Lektüre der Texte, die wir gemeinsam lesen und diskutieren werden,
bildet die zu erbringende Arbeitsleistung. Zur besseren historischen
Orientierung sei empfohlen, schon vor Vorlesungsbeginn einen Blick in
die unten genannte Literatur zu werfen.
Literatur: Norbert Miller: Europäischer Philhellenismus zwischen Winckelmann und
Byron. In Propyläen-Geschichte der Literatur. Bd. IV: Aufklärung und
Romantik. 1700–1830, Frankfurt a. M./Berlin 1988, S. 315–366; Roderick
Beaton: Byron’s War. Romantic Rebellion, Greek Revolution. Cambridge
2013; Mark Mazower: The Greek Revolution. 1821 and the Making of Modern
Europe. London 2021.
- Kursverantwortliche/r: Johannes Schmidt