Gegenstand des Seminars ist die literarische Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte und dem Antisemitismus in Frankreich seit der Revolution, insbesondere mit der Geschichte der Verfolgung während des Vichy-Regimes und der transgenerationellen Traumatisierung durch den nationalsozialistischen Völkermord. In welchem Verhältnis steht die kollektive Geschichte zu den individuellen Erinnerungsgeschichten von Shoah-Überlebenden und ihren Nachkommen? Während die unmittelbaren Zeitzeug:innen über ihre traumatischen Erfahrungen weitgehend geschwiegen haben, begeben sich die Angehörigen der zweite und dritte Generation auf eine Spurensuche zur Aufdeckung von Familienschicksalen, Geheimnissen, Verdrängtem und Verschwiegenem. Wie funktioniert die Kommunikation zwischen den Generationen und innerhalb der Familien und wie gestaltet sich der Übergang vom kommunikativen (Familien-)Gedächtnis zum kulturellen Gedächtnis und zur offiziellen Erinnerungskultur? Weitere zentrale Aspekt der im Seminar behandelten Texte sind die Muttersprache, Mehrsprachigkeit oder auch Einsprachigkeit (Derrida), Auswirkungen von Migration, geographischer Entwurzelung, Exil und Diaspora, die sich in räumlichen Metaphoriken ausdrücken, wie z.B. Transiträumen, familiengeschichtlich signifikanten Orten wie Oran und Osnabrück bei Hélène Cixous oder historischen Erinnerungsorten wie Beaune-la-Rolande (Wajsbrot) oder Auschwitz (Reza).
Diesen Fragen und Aspekten geht das Seminar auf der Basis kulturwissenschaftlicher Theorien der Memory Studies, der Psychoanalyse, des Antisemitismus und der Intersektionalität nach. Gemeinsam gelesen und diskutiert werden fiktionale, autobiographische und essayistische Texte jüdischer Autor:innen, u.a. Mémorial und Beaune-la-Rolande von Cécile Wajsbrot, Osnabrück und Gare d’Osnabrück à Jérusalem von Hélène Cixous, Le monolinguisme de l’autre ou la prothèse d’origine von Jacques Derrida, Un secret von Philippe Grimbert und Serge von Yasmina Reza.
Zur Vorbereitung empfehle ich die Lektüre von Aleida Assmann: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur, 4. Aufl. München 2021.
- Kursverantwortliche/r: SHK Miriam Hörsch
- Kursverantwortliche/r: PD Dr. Jutta Weiser