Die kulturellen Aufbrüche der griechischen Antike sind aufs engste mit einer Medienrevolution verbunden,, die vom Übergang von der Kultur der Mündlichkeit zur Kultur der Schriftlichkeit ausgeht: Veränderung der literarischen Kommunikation durch den Büchermarkt, der Platons Schriftkritik hervorruft; Übergang vom lauten zum stillen Lesen als Kulturtechnik, die dem Theater neue Freiheiten gibt, da Texte nachgelesen werden können; die Signalfeuerkette als frühe Form des Nachrichtenfernverkehrs wird zum Werkzeug von Klytaimnestras Rache in Aischylos' Drama "Agamemnon". In der griechischen Medienrevolution vom klassischen 5. Jahrhundert v. Chr. bis zum späten Hellenismus werden erstmals bestimmte Medienprobleme artikuliert, die uns in der durch die Computerrevolution ausgelösten Folge medientechnologischer Sprunginnovationen (vom Internet/Social Web über die umfassende Digitalisierung bis zum Aufschwung der KI) in moderner Problemgestalt auch heute beschäftigen. Zwischen beiden Medienrevolutionen liegen historisch betrachtet Welten, doch es gibt wichtige Berührungspunkte. Ein solcher Berührungspunkt ist die Entdeckung der Fiktionalität, die sich von der gewöhnlichen Fiktion dadurch unterscheidet, dass sie keine Täuschungsabsicht verfolgt und daher auch als "gerechte Täuschung" (dikaios apathé) bezeichnet wird. Die Entdeckung der Fiktionalität ist die Folge des schwindenden Glaubens an die Mythen und schafft überhaupt erst ein ästhetisches Bewusstsein. Das revolutioniert das Theater ebenso wie die Bildkommunikation. Platon hat die Mimesis als Darstellungsmodus der sinnlich-körperlichen Angleichung ans Dargestellte polemisch ins Extrem getrieben. Wenn einer von den Göttern wie ein Maler, lässt er Sokrates zur Dialogfigur Kratylos sagen, "nicht nur deine Farbe und Gestalt nachbildete (...), sondern auch alles Innere ebenso machte wie das deinige, (...) dann auch Bewegung, Seele und Vernunft, wie dies alles bei dir ist, hineinlegte, und (...) alles wie du es hast noch einmal neben dir aufstellte; wären dies denn Kratylos und ein Bild des Kratylos, oder zwei Kratylos?" (Platon, Kratylos 432a). Euripides hat diese Konstellation in seiner "Helena" durchgespielt, um ein kritisches Medienbewusstsein der artifiziellen mimetischen Effekte zu erzeugen. Dieses Problem stiegert sich im heutigen Kontext in KI-Avataren zum Spiel mit der medientechnologisch herstellbaren Nichtunterscheidbarkeit von Fakt und Fake.
- Kursverantwortliche/r: Eleonore Kalisch