Satire und Fantastik – das ist keine naheliegende Kombination. Zielen
doch literarische Satiren auf eine handfeste, kritikwürdige
Wirklichkeit, die sie anprangern können, während fantastische Literatur
einer solchen Wirklichkeit den Rücken kehrt. Aber gerade wegen dieser
Gegensätzlichkeit kann die Verbindung interessant werden, dann nämlich,
wenn sich Wechselwirkungen ergeben, die neue Möglichkeiten eröffnen. In
diesem Fall können Konstellationen entstehen, die einerseits bestimmte
Zeitströmungen abzubilden vermögen, die andererseits aber auch
vielschichtige Werke hervorbringen, die um ihrer selbst willen die
Lektüre lohnen.
Als Beispiel für eine solche Verbindung von Satire
und Fantastik will das Seminar die Prosa Gustav Meyrinks (1868–1932) in
den Blick nehmen. Meyrinks literarische Tätigkeit beginnt mit kurzen
Erzählungen, die u. a. in der berühmten satirischen Wochenzeitschrift Simplicissimus
erscheinen, weitet sich aber zunehmend auf fantastische Texte – auch
größeren Umfangs – aus. In ihnen spiegeln sich verschiedene Facetten des
frühen 20. Jahrhunderts: die bedrückende Atmosphäre des (deutschen bzw.
österreichischen) Obrigkeitsstaats mit seinem Militarismus, die
bürgerliche Begeisterung für Okkultismus und Spiritismus, das
– eurozentrisch geprägte – Interesse an außereuropäischen Religionen und
Kulturen, aber auch neue Vorstellungen der menschlichen Psyche und des
Zusammenspiels von Individuum und Masse. Schließlich findet auch der
Erste Weltkrieg Eingang in diese Werke, in denen die Katastrophe als
okkultes Ereignis gedeutet wird, aber gleichzeitig Anlass für Spott auf
das Bürgertum bietet.
Einige von Meyrinks Kurzgeschichten sowie sein berühmtester Roman – Der Golem
von 1915 – sollen Anlass geben, diesen hier skizzierten Spuren
nachzugehen und so das Verhältnis von Satire und Fantastik im frühen 20.
Jahrhundert zu beleuchten. Das Lektürepensum wird im Laufe des
Semesters zunehmen, die gründliche Vor- und Nachbereitung der einzelnen
Sitzungen stellt darum aber auch die zu erbringende Arbeitsleistung dar.
Der Golem liegt in einer Reclam-Ausgabe (ISBN 978-3-15-019344-0 ) vor, die auch Textgrundlage sein wird. Die übrigen Texte werden über Moodle zur Verfügung stehen.
- Kursverantwortliche/r: Johannes Schmidt