Kurseinschreibung

Die aktuelle, transkulturell informierte Kunstgeschichtsschreibung sowie die mit ihr verbundenen Erweiterungen des Gegenstandsfelds und der theoretischen Bezugspunkte werden häufig als Versuch gewertet, gegenwärtige dekoloniale und anti-rassistische geisteswissenschaftliche Perspektiven für das eigene Fach fruchtbar zu machen. Dabei gerät schnell aus dem Blick, dass die Kunstgeschichte der Moderne von vornherein zutiefst geprägt war durch den anthropologisch informierten Rekurs auf „primitive“ oder „erste“ Künste sogenannter außereuropäischer „Naturvölker“. Ethnologie und Kunstgeschichte ebenso wie die künstlerische Moderne waren in die koloniale Differenzpolitik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts involviert, sie affirmierten und legitimierten deren gewaltsam durchgesetzten Normen. Die anschließende und aktuelle Kritik am Eurozentrismus und globalen Asymmetrien, sowie an den darin reproduzierten physischen und epistemischen Gewaltverhältnissen findet ebenfalls häufig an der Schnittstelle von künstlerischer Praxis, Kunstgeschichte und Ethnologie statt. Das Seminar beschäftigt sich mit Wechselwirkungen zwischen den Disziplinen seit dem späten 19. Jahrhundert bis heute. Das Verhältnis von europäischer Moderne und außereuropäischer „primitiver“ Kunst, von Zeitgenossenschaft und Frühgeschichte, sowie von globaler Kunstgeschichte und transkulturellen Verflechtungs- und Kontaktgeschichten wird historisch eingeordnet und kritisch analysiert. Wir beschäftigen uns beispielsweise mit ethnographischen Objekten, die in Ausstellungen zu moderner Kunst präsentiert wurden; mit Kunstperformances, die Ritualcharakter haben; mit zeitgenössischer Kunst in ethnographischen Sammlungen; oder mit anthropologischen Texten, in denen avantgardistische Kunstpositionen für die Argumentation herangezogen wurden. Auch gemeinsame Besuche in Sammlungen und Ausstellungen sind geplant. Von besonderem Interesse wird sein, inwiefern Kunstgeschichte und Ethnologie als zwei Wissenschaftsfelder, in denen „Kunst“ jeweils eine herausragende, aber höchst unterschiedliche Rolle im Erkenntnisprozess einnimmt, methodisch voneinander gelernt haben und weiterhin lernen können.

Semester: SoSe 2023
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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