Kurseinschreibung

Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Chronik stellt sich aus der Sicht ihrer modernen Leserinnen und Leser weniger als verlässliche Quelle denn als Alternative zur Historiographie dar. Es geht ihr zwar um eine beglaubigte Erzählung der Taten und Geschehnisse vergangener Zeiten (um eine narratio rerum gestarum), doch der Ursprung solcher Beglaubigung liegt nicht in beurkundeten Fakten (den res gestae), sondern in einer Wahrheit, die aus jenen spricht, sie also zu Allegorien und Gleichnissen eines Wahrheitsgehalts macht, vor dessen Geltung die Differenz von Faktizität und Fiktionalität hinfällig erscheint. Das ist der Grund, weshalb in chronikaler Dichtung unterschiedlichste Konzeptionen von Zeit sich um einen solchen Wahrheitskern lagern können wie Schichten aus Astronomie, Annalistik, Chronologie, Typologie und anderen Ordnungen des Wissens. Dazu zählen auch Aspekte des Machtransfers (translatio imperii / militiae) und seiner politisch-theologischen Legitimation, zu deren wichtigsten Topoi die Geschichte Trojas zählt. Die Gründung der Stadt, ihre (mehrfache) Zerstörung und ihr (mehrfacher) Wiederaufbau werden zum Modell einer historia, die auf Restitution, Erneuerung und Steigerung des Wiederholten hinausgeht und durch ein solches Darstellungsprinzip entschieden heilsgeschichtliche Providenz dem Bezirk weltlicher Herrschaft zuschreibt, als entfalte irdische Macht den Glanz einer eigenen Sakralität aus den Spannungen und Widersprüchen der Gegenwart. Dadurch gerät die Geschichte Trojas in Chronistik und höfischer Epik zum Schauplatz imperialer und adliger Aushandlungen über Ursprung und Geltung des eigenen Anspruchs und der Rechtmäßigkeit eigener Werte. So wird der trojanische Krieg etwa stilisiert als Urszene des Rittertums, dessen Ethik auf der prekären Balance von minne und êre beruht und seine Prototypen in Helena und Paris, in bezug auf politische Klugheit und verräterische List in Odysseus und Aeneas findet. Das Seminar zielt darauf, jenen Schauplatz zu vermessen und unterschiedliche literarische Strategien der Zeitdarstellung zu erkennen. Im Mittelpunkt werden Auszüge aus mhd. Reimchroniken ('Weltchronik' Jans, 'Christherre-Chronik') und Troja-Dichtungen ('Basler Trojanerkrieg', 'Göttweiger Trojanerkrieg', vor allem aber der 'Trojanerkrieg' Konrads von Würzburg) sowie das historische Exempel des 'Mauricius von Craûn' stehen. Angesichts der Fülle des Stoffes werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, in Gruppen Analysemodelle einzelner Passagen der Dichtung und – wo vorhanden – ihrer Illumination in Manuskripten zu entwickeln und vorzustellen.

Semester: SoSe 2023
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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