Theater braucht Stadtluft. Wo es darum geht, Dramen aufzuführen, ist eine communitas,
eine Kommune gefragt, die öffentlichen Raum und festliche Gelegenheit,
Mitspieler und Publikum, Ausstattung und politische bzw. geistliche
Lizenz zu Rede und Urteil der Interagierenden zur Verfügung stellt.
Dabei lässt der zeremonielle Rahmen etwa der mittelalterlichen
Passions-, Oster- oder Fronleichnamsspiele die Inszenierung, die in der
gegenwärtigen Forschung als "pararituell" bezeichnet wird, in Konkurrenz
zur Liturgie treten. So jedenfalls kritisiert Luther die
Theatralisierung geistlicher Inhalte. Da er aber nicht auf die
Wirksamkeit des theatralen Spiels verzichten möchte, empfiehlt er
apokryphe Stoffe als Vorlagen. Sie beanspruchen nicht den Status
heiliger oder dogmatisch relevanter Schriften, sondern beruhen auf
freier zu behandelnden, deutungsoffeneren und didaktisch flexibleren
Historien ohne unmittelbar geltenden "wahrheitsfähige[n] Litteralsinn"
(Bent Gebert). Sie können ebenso der biblischen, mit Vorliebe
alttestamentlichen, wie der Überlieferung römischer Historiographie
entnommen sein und bilden das Reservoir des frühreformatorischen Dramas,
dessen Träger – wie in der griechischen und römischen Antike – die
Polis ist. Das SE strebt eine Analyse exemplarischer Spiele aus den
Bereichen Tragedia, Comedia und Tragicomedia an, die es erlauben, das
Verhältnis von vormodernem Theater und Verhandlung kommunaler
Angelegenheiten zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt stehen dabei die
Stoffkreise um Judith, Susanna und Verginia.
- Kursverantwortliche/r: Claudia Flade
- Kursverantwortliche/r: Anne K. Ramin
- Kursverantwortliche/r: Prof. Dr. Hans Jürgen Scheuer