Forderungen der Teilhabe bilden für die neuere Kunst und Literatur ein gewichtiges Paradigma: Verlage und Festivals, Jurys und Kurator:innen, Theater, Lesegruppen oder Podcasts bemühen sich wie selten zuvor um die Inklusion von Personen mit diversen Erfahrungshintergründen in den Betrieb. Abseits aller autorkritischen Debatten wird dabei die Frage „Wer spricht?“ ganz neu aufgerollt und von der Frage nach Darstellungsinhalten und -formen systematisch unterschieden. So entstehen literarische Praktiken, die eingeübte Rezeptionshaltungen unterlaufen und neue Textumgangsformen erfordern, denn es steht nicht weniger als die Autonomie ästhetischer Bewertungskriterien infrage. Während das Feuilleton diese Entwicklungen lange Zeit eher skeptisch begleitet hat, spürt das Seminar dem avantgardistischen Potenzial dieser ‚identitätspolitischen‘ Konjunktur nach und verfolgt zu diesem Zweck die Opposition von Mimesis und Methexis, Repräsentation und Teilhabe, von der Antike bis in die Gegenwart.
Platon schloss die Mimesis aus der Polis zugunsten der Teilhabe an den ‚Ideen‘ aus. Demgegenüber lässt sich die Geschichte der Poetik seit Aristoteles entlang der Aufwertung der Mimesis erzählen, während Teilhabe kaum als Kategorie des Ästhetischen verstanden wurde. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Literatur spätestens seit dem 18. Jahrhundert unter einem Legitimationsdruck steht, der zur regelmäßigen Rückkehr von Poetiken und Programmatiken der Teilhabe geführt hat. Auf der Grundlage einiger antiker und mittelalterlicher Lektüren rekonstruiert das Seminar diese moderne Geschichte der Dialektik von Mimesis und Methexis von der Volksaufklärung über den Realismus und die Avantgarde bis in die Gegenwartsliteratur. Dabei wird durch Seitenblicke versucht, auch die Entwicklung der repräsentativen Demokratie in ihrem Ausschluss von Teilhabe-Verfahren (Losverfahren, Räte usw.) im Blick zu behalten. Mimesis und Methexis zeigen sich dabei als zwei deutlich unterscheidbare Paradigmen ästhetisch-politischer Theorie, die in ihren jeweiligen historisch-programmatischen Konstellationen trotz allem nie ganz unabhängig voneinander waren und im 21. Jahrhundert vielleicht mehr denn je aufeinander angewiesen sind.
- Kursverantwortliche/r: David Klein
- Kursverantwortliche/r: Dr. Roman Widder