Kurseinschreibung

Als die Hohepriester den im Jerusalemer Tempel predigenden Jesus dingfest machen möchten, senden sie Spione, die aber nichts Anstößiges an ihm entdecken können. Nur einer hält fest: "Nie hat ein Mensch so gesprochen wie dieser" (Joh 7,46).

Die singuläre Art jenes Sprechens besteht in zweierlei Formen der Rede: Zum einen adressiert Jesus die Geheimnisse des Himmelreichs in Form von Gleichnissen (vornehmlich in den synoptischen Evangelien), zum anderen in Ich-Aussagen, die bei Johannes die parabolische Intention in der leiblichen Präsenz des Gottessohnes besiegeln: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich." (Joh 14,6). In der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Dichtung wird die Parabel zur Signatur bedeutsamen Sprechens mit gesteigertem Wahrheitsanspruch. Sie erschöpft sich dabei nicht in zitathafter Anlehnung an die Evangelien, sondern zeugt in dem Maße vom wachsenden Selbstbewusstsein volkssprachlicher Dichtung für und von Laien, in dem ihre immanente Poetik über den parabolischen Stil sich eigene Spielräume der Bedeutung erschließt.

Nach einer einleitenden Beschäftigung mit der Gleichnisrede in den Evangelien wendet sich die Lektüre der Tradition eines Stoffes zu, der in verschiedenen Sprachen (persisch, arabisch, hebräisch, lateinisch und in den Volkssprache) und entsprechend diversen religiösen Kontexten die Geschichte von der Bekehrung eines Königssohnes erzählt. Ihr liegt die Vita Buddhas zugrunde; das Sprechen in Parabeln erweist sich in jenem bemerkenswerten Komplex jedoch als transreligiös wirksam und verbindlich. Im Mittelhochdeutschen realisieren der 'Laubacher Barlaam' sowie der Roman 'Barlaam und Josaphat' Rudolphs von Ems die Poetik parabolischen Erzählens in Reinform. Darüber hinaus werden wir uns mit der Rolle der Parabel im Kontext des frühneuzeitlichen Prosaromans, der Novellensammlung Boccaccios und ihrer Adaptationen (wie etwa durch Lessings Ringparabel in 'Nathan der Weise') beschäftigen, um die lange Dauer der Rede vom Unsagbaren und ihre literarischen Transformationen in den Blick zu nehmen.

Lit.: Hans Jürgen Scheuer: Art. Gleichnis, in: Handbuch Literatur und Religion, hrsg. v. Daniel Weidner, Stuttgart / Weimar: Metzler 2016, S. 250–256. / Constanza Cordoni: Barlaam und Josaphat in der europäischen Literatur des Mittelalters. Darstellung der Stofftraditionen – Bibliographie – Studien, Berlin, Boston 2014 / Matthias Meyer u. Constanza Cordoni (Hrsg.): Barlaam und Josaphat. Neue Perspektiven auf ein europäisches Phänomen, Berlin, Boston 2015.

Semester: WiSe 2022/23
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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