Kurseinschreibung

Das viridarium, der grüne Ziergarten, den Albertus Magnus im 7. Buch seiner Schrift De vegetabilibus entwirft, stellt eine einfache Gartenarchitektur dar, die daraufhin angelegt ist, sämtliche Sinne einzeln anzuregen und in einem totalen synästhetischen Phantasma zu konzentrieren. Ein solcher Garten der Sinne besteht aus einer quadratischen Grünfläche mit Rasenbank, erweitert um Beete mit aromatischen Heilkräutern, eingehegt von Weinreben und "süßen" Hölzern, abgetrennt von der Welt durch Mauer, Zaun oder Graben. Im freien, gut belüfteten Zentrum jenes hortus conclusus fließt eine klare Quelle, die von einem Steingefäß aufgefangen wird. So entsteht ein Lustort (paradisus voluptatum nennt ihn die Vulgata im 2. Schöpfungsbericht), der in literarischen Kontexten oft als ein ander paradîs apostrophiert wird (so etwa im Iwein Hartmanns von Aue).

Damit sind wesentliche Elemente eines medienpoetischen Paradigmas benannt, das nicht nur in der okzidentalen Kultur zum Modell der Schöpfung, der politischen Ordnung, des Weltwissens und/oder der Poesie wird. Denn es bildet eine systematisch und kunstvoll angelegte Apparatur universeller Beobachtung, die es ermöglicht, die makrokosmischen Verhältnisse mit der mikrokosmischen, auf Innenschau gerichteten Perspektive zu verbinden. So lassen sich beide Sphären ohne spürbare Grenzüberschreitungen ineinander spiegeln.

Das Seminar möchte dem visionären Artefakt "Garten" in seinen literarischen, gelegentlich auch hortikulturellen, seinen theatralen, neuerdings auch digitalen Realisationen nachgehen. Es richtet seine Aufmerksamkeit besonders

-     auf die Beschreibung der separaten Baumgärten und magisch-anderweltlichen Parks in der höfischen Epik (Artusromane, Roman de la Rose),

-     auf deren mythisch-erotisches bzw. biblisches Personal (Amor, Narciss, Pygmalion; Susanna),

-     auf das Motiv des locus amoenus / locus horribilis und den lyrischen "Natureingang" in Minnesang und Minnereden,

-     auf die repräsentativen oder utopisch-insulären Ausweitungen der Gartenanlagen in Renaissance und Barock (Francesco Colonna, Hypnerotomachia Poliphili / Hannover Herrenhausen / Potsdam, Sanssouci),

-     auf die religiösen, idyllischen und surrealen Dimensionen des Parks in der bürgerlichen Moderne (Jean Paul, Titan / Raymond Roussel, Locus solus) sowie

-     auf die Wiedererfindung des Viridariums in den modernen Künsten: Theater (T.P.O., Prato: Children Cheering Carpet), Film (Derek Jarman, Garden), Lyrik (Barbara Köhler u.a., Florilegium) und Theoriegärten (Alexander Kluge, Unruhiger Garten der Seele).

Anhand solch historisch weit gespannten Materials werden wir versuchen, den Garten als Ort zu verstehen, an dem wir auf vergessene Bildwelten, aber längst nicht abgetane Wahrnehmungs-konzepte stoßen können.


Lit.: Robert P. Harrison: Gärten. Ein Versuch über das Wesen des Menschen, übers. aus dem Engl. v. Martin Pfeiffer, München 2010.

Semester: WiSe 2022/23
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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