Kurseinschreibung

SE Lyrikanthologien des 20. und 21. Jahrhunderts

Schatzkammer, Chrestomatie, Helicon, Musen-Cabinet, Vorrath, Parnass, Wald, Hausschatz, Jahrhundertgedächtnis, Museum, Atlas usw. usf. – Lyrikanthologien können viele Namen haben. Wörtlich bedeutet der im 18. Jh. aus dem Griechischen übernommene Begriff ‚Anthologie‘ Blütenlese; ihm entspricht lat. florilegium. Vorstellungen des Auflesens, Auslesens und Aufhebens, sei es von Blüten oder Kleinodien – oder von einem wertvollen Schatz, der für die Ewigkeit zu retten ist, zeigen den hochwertigen, den musterhaften Charakter an, der den ausgewählten Texten zugeschrieben wird. Damit ist die Anthologie gleichsam das Nadelöhr der Kanonisierung und hat eine wissenspoetische (Selektions-)Funktion, insofern sie – als exempla-Komplement zur Poetologie – das je nach Sicht der Anthologist·inn·en jeweils Exemplarische, Bewahrenswerte, Mustergültige zusammendrängt und zugleich als perspektivische Überschau bzw. Abkürzung zur unüberschaubaren poetischen Produktion einer Zeit verstanden werden will. Von diesem Potential zur Verkleinerung des und der Großen geht ihr ungebrochener Reiz aus: Im 21. Jahrhundert ist die Lyrikanthologien keineswegs ausgestorben, im Gegenteil.

Die Motive der Anthologist·inn·en waren und sind seit jeher höchst unterschiedlich (archivarisch, kanonisierend, programmatisch, didaktisch, kommerziell usw.), desgleichen ihre Strategien und Publika. DasSeminar rückt Sammlungen des 20. und 21. Jahrhunderts, ihre Mission und Motive in den Fokus – von der „Menschheitsdämmerung“ über das „Museum der Modernen Poesie“ und bis zu „Lyrik von Jetzt“ I-III. Aber auch germanistische (Conrady, Killy, Detering, Petersdorf), akustische (lyrikline.org), idiosynkratische (Klings „Sprachspeicher“ oder Popps „Spitzen“), internationale (wie Grand Tour) und periodische Sammelunterfangen wie die Jahrzehnteanthologien aus dem Wunderhorn-Verlag oder das Jahrbuch der Lyrik sollen in den Blick genommen werden. Dabei gelten der Auswahl und Anordnung, der medialen Präsentation und den Paratexten besondere Aufmerksamkeit, daneben der Rezeption – und natürlich den Fragen, inwiefern diese Publikationen als Zeitspeicher ‚das Gesicht der Lyrik zu ihrer Zeit‘ geprägt haben bzw. noch prägen.

Die Arbeitsleistung besteht in Sammlungspatenschaften mitsamt (wahlweise mündlichen oder schriftlichen) Kurzpräsentationen. 

Die Textgrundlage des Seminars wird in einem Moodle-Reader bereitgestellt. Vorschläge seitens der Teilnehmer·inn·en sind willkommen.

 

zur Einführung:

Häntzschel, Günter: Art. „Anthologie“. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. I. Hg. v. Klaus Weimar. Berlin/New York 1997, S. 98–101.

 


Semester: WiSe 2022/23
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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