Kurseinschreibung

Mit dem Prager Fenstersturz im Mai 1618, als Fanal während der Rekatholisierungsversuche Böhmens durch die Habsburger, begann das, was als Urkatastrophe in die europäische Geschichte eingehen sollte: der Dreißigjährige Krieg. Erst der Westfälische Frieden (1648) bot unter den Regierungen des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-88) und seines Nachfolgers Friedrich III. (1657-1713) ideale Voraussetzungen für die baukünstlerische Entfaltung Berlin-Brandenburgs. Dabei war der politische Hintergrund heterogen: Nachdem Friedrich Wilhelm die Wiedererstarkung Brandenburg-Preußens maßgeblich vorangetrieben hatte und in der Mark, insbesondere in der Doppelstadt Berlin-Cölln, die neue machtpolitische Stärkung Brandenburgs durch umfangreiche Baumaßnahmen künstlerisch visualisierte, war die Rangerhöhung Brandenburg-Preußens im europäischen Machtspiel zum Königtum Kern der Herausforderungen Friedrichs III./I.

Wie kein anderes künstlerisches Ausdrucksmedium vermag es die für jedermann weithin sichtbare Architektur staatspolitische und -philosophische Ansichten, Ideen und Veränderungen sinnfällig zum Ausdruck zu bringen. Auch der Berliner Hof rang im 17. Jahrhundert mit Ausdrucksmöglichkeiten, sich markant im zeitgeschichtlichen Kontext zu behaupten. Erreichte das plastisch-theatrale Bauen des sogenannten Barock außerhalb der deutschsprachigen Territorien des Heiligen Römischen Reiches seinen Höhepunkt, so stand deren Ausweitung hier einer Leere gegenüber, die erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und durch die Persönlichkeit Friedrich Wilhelms aufgebrochen werden sollte. 

Nach nur gut 15-Jähriger Dienstzeit starb der Architekt Johann Arnold Nering (1659-95) am 21. Oktober 1695 im Alter von nur 36 Jahren und hinterließ ein modernes Antlitz des Residenzschlosses an der Spree und überführte die nähere Umgebung in eine auf das Berliner Schloss ausgerichtete Schlosslandschaft. Durch eine mehrmonatige Studienreise nach Italien beeinflusst, überführte er den Stil und die Qualität der italienischen Architektur in die Mark, die sich als strenge, nüchterne Architektursprache noch deutlich von der freieren italienischen oder süddeutschen Handhabung abhebt und als „Berliner Schule“ einen festen architekturhistorischen Rang beansprucht. Dabei überwand er die niederländisch geprägten Bautraditionen seiner Vorgänger wie Johann Gregor Memhardt (1607-78) und vereinte die Ansprüche seiner Auftraggeber mit seinen eigenen Vorstellungen zu einer eigenen, wirkmächtigen Formsprache, die Berlin für die darauffolgenden Jahrhunderte prägen sollte. Nering hatte mit seiner Architektur jene kurfürstliche Rangerhöhung vorweggenommen, die in politischer Perspektive erst durch die Krönung 1701 verwirklicht war. Er hob die höfische wie städtische Architektur trotz knapper monetärer Ausstattung auf das Niveau der namhaftesten Höfe des Reiches und bereitete die Prachtarchitektur Andreas Schlüters (1659-1714), Johann Friedrich Eosander (1669-1728) und Jean de Bodts (1670-1745) vor.

Semester: SoSe 2022
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