Kurseinschreibung

Diesen Kurs in AGNES anzeigen.

Mit ihrem Roman Das Gemeindekind (1887), der  gegen den deterministischen Diskurs der Vererbung die Einflüsse der gesellschaftlichen Umwelt auf die Entwicklung des Individuums demonstriert, hat sich die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916) als einzige Frau einen Platz im Kanon des deutschsprachigen Realismus erobert. Mit Božena (1876), Lotti, die Uhrmacherin (1880) und Unsühnbar (1898) hat die im heutigen Tschechien geborene Autorin indes noch weitere, literaturhistorisch kaum beachtete Romane verfasst, in deren Zentrum zumeist Frauen stehen und die auf gesellschaftskritische und psychologisch präzise Weise die Entstehung der modernen Gesellschaft nachzeichnen. Innerhalb wie außerhalb der Literatur stritt Ebner-Eschenbach dabei für die Emanzipation von Frauen, setzte sich aber auch vehement gegen den immer mehr aufkeimenden Antisemitismus zur Wehr. Ein Prozess der Modernisierung prägt auch die Entwicklung ihres Erzählstils, der sich unter anderem durch eine immer größere Verdichtung und Experimente mit dem Tempus Präsens auszeichnet, wobei sie im Unterschied zu einigen ihrer Zeitgenossen im Wiener fin de sciècle der realistischen Schule treu bleibt. Zu besonderer Anschaulichkeit gelangt sie dabei in einigen späten Novellen wie Der Vorzugsschüler (1898) oder Das tägliche Leben (1908), in denen das Reale des Todes, nicht zuletzt in Form des Suizids, als äußerste Konsequenz sozialer Fehlentwicklungen immer mehr in den Vordergrund rückt. Ihre literarischen Erkundungen der sozialen Gewalten der Gesellschaft und der psychologischen Abgründe des Subjekts nehmen Erkenntnisse der zeitgleich entstehenden Psychoanalyse vorweg. Im Seminar werden die Romane und Erzählungen Ebner-Eschenbachs im Hinblick auf ihre narrativen Verfahren analysiert und im Kontext der in Wien um 1900 entstehenden Psychoanalyse diskutiert.

Semester: SoSe 2022
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)