Kurseinschreibung

Als Theoretiker des Leibes, als Phänomenologe der Wahrnehmung ist Maurice Merleau-Ponty (1908–1961) bereits in den Kanon der Kultur- und Geisteswissenschaften eingegangen. Seine politischen, kultur- und geschichtsphilosophischen Schriften fristen hingegen bis heute ein Schattendasein. Für das Seminar zugrunde gelegt werden zentrale Texte Merleau-Pontys aus den Jahren 1945–55, darüber hinaus Auszüge der geschichtsphilosophischen Grundpositionen, die in diesen Texten verhandelt werden (Hegel, Marx, Lenin, Lukács, Max Weber, Sartre). Das Seminar dient so als Einführung in jenen weniger bekannten, politischen Merleau-Ponty, einen der wichtigsten Vertreter des »westlichen Marxismus« und als Einführung in Grundfragen der Geschichtsphilosophie.

»Die Geschichte ist ein merkwürdiges Objekt: ein Objekt, das wir selber sind«, schreibt Merleau-Ponty in Die Abenteuer der Dialektik. Sie ist ein Objekt, das man genau aus diesem Grund nicht einfach nur betrachten kann. Weil wir in sie verwickelt sind, sind wir gezwungen, einen Sinn in die Geschichte zu legen, ganz gleich ob wir ihn in der Entwicklung der Vernunft oder im dialektischen Fortschritt zum Kommunismus zu erkennen meinen. Der Sinn der Geschichte ist für Merleau-Ponty nicht nur der Horizont für das Verstehen aller kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Tatsachen, sondern auch für das politische Handeln. So wie wir gezwungen sind, der Geschichte einen Sinn zu geben oder zu entnehmen, laufen wir stets Gefahr unsere eigenen Wünsche, Träume, Ängste, Vorurteile oder Ideologien an die Stelle der tatsächlichen Geschichte zu setzen, sie auf das zu reduzieren, was wir von ihr denken. Zwischen den Extrempunkten eines absoluten Historismus und Relativismus und einer anmaßenden Geschichtsphilosophie, die das Vergangene in ihre eigenen Kategorien sperrt, entwickelt Merleau-Ponty ein Geschichtsdenken, das die Grundlage für eine Phänomenologie der Kultur und für einen radikal undogmatischen Marxismus bieten soll.


Semester: WiSe 2021/22
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