Das von Christian Felber (Felber 2010) entwickelte alternative Wirtschaftsmodell der Gemeinwohl-Ökonomie strebt die Mehrung des Gemeinwohls anstelle der Mehrung des Kapitals an. Unter Gemeinwohl gefasst werden die Werte Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung. Zur Umsetzung des Konzepts werden Unternehmen (aber auch Vereine, Institutionen und Gemeinden) angeregt, eine Gemeinwohl-Bilanzierung anhand normativ festgelegter sozial-ökologischer und ethischer Kriterien zu erstellen. Die Gemeinwohl-Bilanzierung beinhaltet dabei umfassend soziale, ökologische, demokratische und kooperative Aspekte und bewertet nicht nur das Produkt oder die Dienstleistung des Unternehmens, sondern auch das Unternehmen selbst wie beispielsweise die Bezahlung und die Partizipation der Mitarbeitenden, die ökologische Verantwortung der im Unternehmen Beschäftigten, aber auch die sozial-ökologischen Standards des Finanzdienstleisters und der Zuliefererfirmen oder den Nutzen des Unternehmens für zukünftige Generationen. Als Anreiz für dieses veränderte Gemeinwohlstreben soll eine veränderte Besteuerung dienen, so dass sich ein werteorientierter Unternehmensfokus entwickeln kann. Damit sollen die strukturellen Zwänge, die bislang die in Konkurrenz zueinanderstehenden Unternehmen zu einer Profitmaximierung auf Kosten der Umwelt und der Menschen nötigen, aufgelöst und die wirtschaftlichen Strukturen so umgewandelt werden, dass ein kooperatives Miteinander im Streben um das größtmögliche Gemeinwohl nicht nur ermöglicht, sondern sogar strukturell angelegt wird (Giselbrecht/Ristig-Bresser 2017, Kühn 2019). Mehr als 2.000 Unternehmen unterstützen bislang das Modell, wovon rund 400 Mitglieder der Gemeinwohl-Ökonomie sind oder bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben.
In dem Seminar werden die ethischen Vorstellungen der Gemeinwohl-Ökonomie sowie die Handlungsmöglichkeiten und strukturellen Grenzen gemeinwohlorientierter Unternehmen unter kulturwissenschaftlicher Perspektive untersucht. Dafür werden zuerst die aktuellen gesellschaftlichen Risiken in Bezug auf das Ökosystem, den gesellschaftlichen Wohlstand, den sozialen Zusammenhalt und die subjektive Leistungsfähigkeit in ihrem strukturellen Zusammenhang analysiert (Brand/Wissen 2017, Enste 2015, Göpel 2020, Jackson 2013, Neckel 2018, WBGU 2011, Weizsäcker/Wijkman 2017). Dabei stehen die konkreten Wechselwirkungen von gesellschaftspolitischen Diskursen, wirtschaftspolitischen Strukturen und sozial-kulturellen Praktiken im Mittelpunkt der Analyse, durch die kulturelle und normative Orientierungen konstituiert und Subjektivitäten, Selbstbilder und Selbstverständnisse verhandelt, (re)produziert oder transformiert werden (Adloff 2018, Bourdieu 1998, Reckwitz 2008). Auf dieser Basis soll die Gemeinwohl-Ökonomie als alternatives Wirtschaftskonzept, aber auch als ein alternatives kulturell orientierendes Wissenskonzept mit ihren alternativen Wertvorstellungen (Menschenwürde, globale Gerechtigkeit, ökologische Verantwortung, Transparenz, Partizipation), den veränderten Organisationsstrukturen (Kooperation, Soziokratie, Konsententscheidungen, Gewaltfreie Kommunikation) und einer alternativen Zukunftsimagination (Adloff/Neckel 2019, Dierksmeier 2016, Eisenstein 2017, D’Alisa/Demaria/Kallis 2015, Schmelzer/Vetter 2019, Schneidewind/Zahrnt 2013) betrachtet werden. Anhand konkreter empirischer Beispiel werden anschließend die Handlungsspielräume und die strukturellen Grenzen gemeinwohlorientierter Unternehmen analysiert und nach Möglichkeiten von kulturellem und sozialem Wandel gefragt (Heidbrink u.a. 2018, Kühn 2020, Scheffler/Lieber 2018, Schneidewind 2018, Sommer/Welzer 2014). In dem Seminar sollen Elemente soziokratischer Organisationsstruktur experimentell angewandt werden.
- Kursverantwortliche/r: Cornelia Kühn