Kurseinschreibung

Digitalität als Konzept ist seit der Antike etabliert (Krämer 2020). Doch spätestens mit der flächendeckenden Verbreitung von Softwareanwendungen auf Smartphones und anderen digitalen Endgeräten durchdringt die Digitalisierung sämtliche Aspekte unseres Alltags und somit auch unseres Musiklebens. Waren um 2000 MP3-Tauschbörsen wie Napster (Röttgers 2003) und sogenannte Piraterie (Medosch Röttgers 2001) noch die illegalisierten Modi des digitalen Teilens von populärer Musik, ist heute Streaming als Modus kommerzialisierten Popmusikkonsums etabliert. Selbst die in der Corona-Pandemie weit verbreiteten DIY-DJ- Streams sind durch Urheberrecht reguliert, wenn z.B. einzelne Tracks in einem DJ-Set auf Twitch.tv gemutet werden. Die Kriterien digitaler Platformen wie Spotify, Instagram oder TikTok und die die Anforderungen großer Marken an werblich Verwertbarkeit (Schoenrock 2021) beeinflussen zusehens die Klanglichkeit (Formteile, Frequenzspektrum, Formate) populärer Musik. Durch die Verschiebung vom Verkauf physischer Tonträger hin zu allzeit und überall verfügbaren Streamingangeboten ändern sich auch Wertschöpfungsketten. Damit wurden Marken von Erfrischungsgetränken oder Technikfirmen zu Playern im Popmusikgeschäft (Schoenrock 2021). Während einerseits die informatischen Prozesse hinter immer glatteren Oberflächen von Musiksoftware und Streamingplattformen verschwinden, ist es in der Live-Coding-Szene üblich, dass Performer*innen den Code zeigen, der für klangliche oder visuelle Performances sorgt. Damit machen sie den Erstellungs- und Wirkungsprozess von Klängen während des Autritts sichtbar. Die Ethik der Live-Coding-Szene umfasst auch die möglichst niedrigschwellige und inklusive Weitergabe von Programmierskills. Mit der immer weiteren Verbreitung digitaler audivisueller Social-Media-Angebote wie z.B. Instagram und TikTok konvergieren politische Diskurse noch stärker multimodal mit Praktiken populärer Musik. Gleichzeitig nimmt auf diesen Platformen auch der visuelle Aspekt eine immer größere Rolle, sodass Influencer*innen wie z.B. Loredana den Übergang zum Popmusikstar schaffen. Auch für die Erforschung populärer Musik verursacht die Digitalisierung tiefgreifende Veränderung. Noch heute werden Bänder, Schallplatten und ihre Digitalisate in musikethnologischen Archiven meist sozial und geographisch meist weit entfernt vom Ort der aufgenommenen Musikpraxis gehütet. Diese Klänge wurden noch von aus Europa oder Nordamerika angereisten Musikethnolog*innen aufgenommen, die oft als einzige Aufnahmetechnologien beherrschten. Doch dieses Privileg verpufft im Zeitalter der "Unbound Digital Era" (Schultz & Nye 2014), in der sich Menschen beim Musizieren mit dem Smartphone aufnehmen und das Interesse an den u.U. minderwertigeren Aufnahmen der Forscher*innen verlieren. Die Tatsache, dass fast alle Musikkulturen sowohl in leiblicher Kopräsenz und als auch im Internet stattfinden, zwingt Musikethnolog*innen Methoden der "Hybrid Ethnography" (Przybylski 2021). Im Seminar erarbeiten wir uns eine Technikgeschichte von populärer Musik und Digitalisierung. Wir diskutieren Ästhetiken und ethische Herausforderungen, die vielleicht gar nicht so neu sind.

Semester: SoSe 2021
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)