Eine vollkommen in Nationalstaaten aufgeteilte Welt kann als ein wesentliches Erbe des europäischen Kolonialismus verstanden werden. Die häufig von den imperialen Kolonisator*innen willkürlich gezogenen Staatsgrenzen zerrissen nicht nur die Einheit kultureller Gemeinschaften, sondern mit den Nationalstaaten wurde darüber hinaus ein politisches Konstrukt etabliert, das das Leben der Menschen bis heute wesentlich beeinflusst.
Innerhalb der postkolonialen Debatten wurde die Bedeutung der Nation und nationalstaatlicher Konstrukte unterschiedlich interpretiert: Auf der einen Seite als die Möglichkeit einer Kultur einen Ort zu geben und damit die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben als Gemeinschaft zu garantieren. Besonders das Konzept der Nation spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Auf der anderen Seite wird dagegen der Nationalstaat mit seinen impliziten Regierungstechniken und Werten als Fortführung repressiver Bewegungen einer kolonialen Herrschaft verstanden. Forderungen nach einer Verwirklichung von Kultur im Rahmen einer Nation bzw. eines Nationalstaates, werden demnach als in sich rückläufig zurückgewiesen.
Im Seminar soll diese Kontroverse aufgegriffen und der Frage nachgegangen werden, ob und wenn ja inwiefern das politische Konstrukt einer Nation und eines Nationalstaats Teil eines Reproduktionsprozesses von kolonialen Herrschaftsstrukturen ist? Sind Nationalstaaten in der Lage (post-)koloniale Herrschaftsstrukturen zu überwinden? Um sich dem Thema zu nähern, wird das Seminar in drei Blöcke gegliedert: Im ersten Block werden einflussreiche Schriften für unser heutiges Verständnis von staatlicher Souveränität gelesen. Daran anschließend soll sich mit dem Konzept der Nation und der historischen Entstehung von Nationalstaaten auseinandergesetzt werden. Auf diesen zwei Blöcken aufbauend werden postkoloniale Autor*innen in den Blick genommen, die sich in ihrer Arbeit kritisch mit der Bedeutung der Nation und des Nationalsstaats für eine postkoloniale Gesellschaft beschäftigt haben.