Diesen Kurs in AGNES anzeigen.

Nach der Relativierung des Gegensatzes von Komposition und Improvisation, die in der Forschung seit den 1990er Jahren unternommen wurde, treten insbesondere durch kulturübergreifende Perspektiven neue Verständnisformen von Improvisation ins Blickfeld. Sie richten sich auf generative musikalische Fähigkeiten, die unter zeitkritischen Bedingungen eine besonders stimmige Mobilisierung der Wissensbasis und Umsetzung von Spiel-Optionen erfordern. Diese Fähigkeiten und Beschreibungsmodi improvisierter Prozesse unterliegen jedoch kulturellen Aushandlungen. Gerade in Bezug auf den Jazz und auf afro-amerikanische Musiker und Musikerinnen ist die Fähigkeit zur Improvisation als quasi-essentialistische Zuschreibung erfolgt, die einen stark einschränkenden Charakter hatte. 

            Die westliche Lesart von Improvisation kann viele Prozesse in nicht-westlichen Musiken, denen Improvisationsmomente eigen sind, nicht abbilden. Es ist deshalb aussichtsreich, das Konzept in Richtung von Handlungsdispositionen und der Integration von motorischen und kognitiven Ressourcen zu erweitern.

Literatur:

Alkaei, Z., & Küssner, M. B. (2021). Taqsīm as a creative musical process in Arabic music. Frontiers in Psychology, 12. doi: 10.3389/fpsyg.2021.640409

Figueroa-Dreher, Silvana K., Improvisieren. Material, Interaktion, Haltung und Musik aus soziologischer Perspektive, Wiesbaden 2016.  

Kaden, Christian, „An Grenzen des Wahrnehmbaren. Improvisation und Komposition im Spiegel der Kulturen“, in: Improvisation V, hrsg. von Walter Fähndrich, Winterthur 2003, S. 132-152.

Lewis, George E. and Benjamin Piekut (eds.). The Oxford handbook of critical improvisation studies. Volume 1, Oxford 2016 (Oxford Handbooks).

Lichtenhahn, Ernst, „Musizieren in schriftlosen Kulturen – ‚Improvisation‘ und ‚Komposition‘ aus musikethnologischer Sicht“, in: Improvisation V, hrsg. von Walter Fähndrich, Winterthur 2003, S. 153-165.

Monson, Ingrid, Saying Something; Jazz Improvisation and Interaction, Chicago 1996 (Chicago Studies in Ethnomusicology).

Racy, Ali Jihad, „Improvisation, Ecstasy, and Performance Dynamics in
Arabic Music“, in: Bruno Nettl and Melissa Russell (eds.), In the Course of Performance. Studies in the World of Musical Improvisation, Chicago 1998 (Chicago Studies in Ethnomusicology),  pp. 96-111.

Semester: SoSe 2022