1968 ist durch die Verbindung von Sozial- und Künstlerkritik gekennzeichnet, so Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrem Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“. Während die Sozialkritik die soziale Ungleichheit thematisierte, ging es der Künstlerkritik um das Kulturelle: um Kreativität, Sexualität, die patriarchale Familie, das „Elend des Alltags“. Die Einheit beider Kritiken steht für eine zentrale „These“ des Geistes von 1968.

Wir werden den Geist von 1968 im Seminar an historischem Material, dann aber vor allem in seiner Theorie studieren und drei Texte lesen, die in engem Bezug zu der politischen Bewegung stehen und dem Geist von 1968 zugerechnet werden können:

  • Mariarosa dalla Costa/Selma James (1971, dt. 1973): „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“, Merve.
  • Gilles Deleuze/Félix Guattari (1972, dt. 1974): „Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I“, Suhrkamp. (Auszüge)
  • Herbert Marcuse (1969): „Versuch über die Befreiung“, Suhrkamp.

Den drei Texten ist gemeinsam, in Kritik am orthodoxen Marxismus eine Perspektive auf den Zusammenhang von Ökonomie und Kultur zu erarbeiten, die beide zugleich als eigenständige Bereiche gesehen werden. Unsere theoretische Arbeit wird schließlich auch erlauben, Verengungen der aktuellen Debatte über die Verbindung von Identitäts- und Klassenpolitik zu diskutieren, in der der Blick auf das Kulturelle häufig verstellt zu sein scheint.

Semester: WiSe 2020/21