Das Seminar beschäftigt sich mit einer der klassischen Fragen der Praktischen Philosophie: Wie lässt sich die Freiheit des Subjekts mit der Verbindlichkeit von Gesetzen zusammendenken? In der Praktischen Philosophie ist es der Begriff der „Autonomie“, der die Gesetzlichkeit und die Freiheit so zusammenführt, dass das eine durch das andere definiert wird. Jean-Jacques Rousseau definiert Autonomie als „Selbstgesetzgebung“. Rousseau zufolge ist das Subjekt frei, wenn es einem Gesetz gehorcht, das es sich selbst gegeben hat. Diese rousseausche Formel der „Selbstgesetzgebung als Autonomie“ führt allerdings in ein Paradox: das Gesetz, das die Grundlage der Autonomie des Subjekts bildet, ist entweder kein frei gewähltes oder ein vom Subjekt willkürlich gewähltes Gesetz. In beiden Fällen ist der Grund der Autonomie ihr Gegenteil: nämlich Heteronomie oder Willkür. Immanuel Kant hat versucht eine Antwort auf dieses „Paradox der Autonomie“ zu finden. Diese lautet: Das Subjekt ist nicht frei, weil es sich selbst ein Gesetz gibt, sondern weil es sich selbst zum Subjekt von Gesetzen konstituiert. Autonomie nach Kant meint daher nicht Selbstgesetzgebung, sondern „Selbstkonstitution“. Das Subjekt, das sich so konstituiert, ist Kant zufolge das „moralische Subjekt“. Dieses besitzt die Fähigkeit die eigenen Gesetze anhand formaler Rationalitätskriterien zu beurteilen und sie dadurch als allgemeingültige Gesetze zu bestimmen. G.W.F. Hegel greift nun diese kantische Formel der „Selbstkonstitution als Autonomie“ auf. Allerdings kritisiert Hegel an dieser, dass sie letztlich die Antwort auf die praktische Frage schuldig bleibt: Was sollen wir tun? Hegel zufolge ist das moralische Subjekt, das Kant als das autonome Subjekt definiert, nur fähig abstrakte und damit inhaltsleere Urteile zu bilden. Was das autonome Subjekt als praktisch Handelndes auszeichnet, ist damit nicht beantwortet. Der hegelsche Grundzug der Neubestimmung der Autonomie besteht darin, das autonome Subjekt als praktisch Handelndes und Mitglied einer Gesellschaft zu begreifen. Hegels „Sittlichkeitstheorie“ kann als diese Neubestimmung der Autonomie verstanden werden.   

In den ersten Sitzungen des Seminars beschäftigen wir uns mit Kants Autonomiebegriff. Im Anschluss daran beschäftigen wir uns mit der Hegelschen Aufnahme und Kritik dieses Begriffs, anhand ausgewählter Paragraphen des zweiten Teils der Grundlinien der Philosophie des Rechts zur „Moralität“. Daran anknüpfend werden wir uns mit dem Übergang der Moralität zur Sittlichkeit und schließlich mit Hegels Sittlichkeitstheorie beschäftigen, anhand ausgewählter Paragraphen des dritten Teils der Grundlinien der Philosophie des Rechts zur „Sittlichkeit“. Der Hauptteil der Lektüre des Seminars werden ausgewählte Textauszüge dieser Primärquellen sein. Zusätzlich zu diesen werden zu den unterschiedlichen Sitzungen zum Teil verpflichtend, zum Teil freiwillig Sekundartexte als Hintergrundlektüre hinzugezogen. Das Seminar ist ein Proseminar und setzt somit keine Vorkenntnisse voraus. Es empfiehlt sich eine Ausgabe der Grundlinien der Philosophie des Rechts für das Seminar anzuschaffen.  

Semester: WiSe 2020/21