Die Literatur des 19. Jahrhunderts ist voll von Hemden, Kleidern, Laken, Vorhängen und Teppichen und richtet ihr Interesse auf deren jeweilige materielle Beschaffenheit sowie damit verknüpfte textile Alltagspraktiken wie Waschen, Bleichen, Flicken und Nähen. Erzählerisch werden Textilien auf verschiedenen Ebenen bedeutsam: Als Projektionsfläche, Träger von Spuren, fetischistischer Gegenstand des Begehrens, zirkulierende Ware oder metapoetischer Repräsentant des traditionell selbst als Gewebe imaginierten Textes. Das Seminar widmet sich mit den literarischen Textilien einer poetologischen Reflexionsfigur mit langer Tradition (vgl. Greber 2002), die zugleich entscheidende Verschiebungen innerhalb der spezifischen literatur-, technik- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge im Verlauf des 19. Jahrhunderts erfährt. In exemplarischen Lektüren von Texten von u.a. Bettina von Arnim, Adalbert Stifter oder Émile Zola ist zu untersuchen, wie sich die literarische Darstellung von Stoff im Spannungsverhältnis zwischen ,bloßer‘ Materialität und ökonomischen, ästhetischen, moralischen, hygienischen oder geschlechtlichen Besetzungen bewegt.

Semester: WiSe 2020/21