(1) Das Phänomen der "bulgarischen Stimmen" wird theoretisch und praxisnah eingeführt. Wir untersuchen ästhetische und kommunikative Konstellationen und Erfahrungen. Um in die Geschichte und Tradition dieser Gesangspraxis einzutauchen, werden die verschiedenen Arten von Quellen, Speichern und Übertragungsmedien einbezogen. Die mimetischen Handlungskompetenzen und das Selbstverständnis von Traditionsträger und Sänger/-innen werden thematisiert.

(2) Im nächsten Schritt ist das Aufgreifen aktueller Diskurse zur "Stimme" geplant (s. Literaturauswahl). Sie werden durch den Fokus auf das "bulgarische Phänomen" neu durchdacht und erweitert.

(3) Der dritte Schritt besteht aus einer Feldforschungsphase in der Hauptstadt Berlin. Erfragt werden die ästhetischen Einstellungen, Bedürfnisse und Konstellationen der bulgarisch Singenden, der von dieser Gesangsweise faszinierten und mit ihr lebenden Menschen.

Während unserer Forschung werden vermutlich wiederholt einige Topoi hervortreten, zu denen wir unsere eigenen Fragen und Hypothesen erarbeiten können: Z. B. Nationalismus & Heimvalenz; Gesangstechnik & Klangfarbe (anhand physiologischer und pädagogischer Fragestellungen); Nähe- & Distanzverhalten (Diaphonie); Zeit- und Raumkonstellationen, Metaphern sowie der Umgang mit urbanen, globalen und transkulturellen Transformationsprozessen. Ein dauerhaft interessantes anthropologisch und soziologisch fruchtbares Forschungsfeld verläuft entlang der Strukturen des musikalischen Lebenskreises, des jährlichen und alltäglichen Kreislaufs zwischen Tun und Denken, Schwingen, Singen, Äußern, Wahrnehmen und stimmlichem Antworten.

Literatur (Grundlagen):

Kaden, Christian: Musiksoziologie. In: MGG 2 (Hrsg. L. Finscher), Bd. 6. Kassel 1997, Sp. 1618-1670. Drs.: Zeichen. In: MGG 2 (Hrsg. L. Finscher), Bd. 9. Kassel 1998, Sp. 2149-2220.

Popova, Deniza: Die "bulgarischen Musiken" im Spannungsfeld zwischen Verständnis und Selbstverständnis. In: Schaller H, Comati S, Krauß R (Hrsg.), Bulgarien-Jahrbuch 2013, München 2015, S. 210–229.

Richter, Bernhard, Echternach M, Traser L, Burdumy M, Spahn C: Die Stimme: Einblicke in die physiologischen Vorgänge beim Singen und Sprechen, Helbing 2017 (3 Teile).

Rice, Timothy: Music in Bulgaria: experiencing music, expressing culture, New York 2004.

 

Literatur (zur Auswahl)

Bhagwati, Sandeep: Imaging the Others´s Voice. On Composing across Vocal Traditions. In:

Buchanan, Donna A.: Metaphors of Power, Metaphors of Truth: The Politics of Music Professionalism in Bulgarian Folk Orchestras. In: Ethnomusicology 39/3 (1995), S. 381–416.

Rice, Timothy: May It Fill Your Soul. Experiencing Bulgarian Music, Chicago Press 1994.

Messner, Gerald Florian: Do they sound like bells or like howling wolves? Interferential Diaphony in Bistritsa - An Investigation into a Multipart Singing Tradition in a Middle-Western-Bulgarian Village. Frankfurt a.M. 2013.

Popova, Deniza: Das Mysterium der bulgarischen Stimmen – ein urbanes Mittel zur Konfiguration nationaler Identität. In: Klotz S. (Hrsg.), Musik – Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkulturen. Musik als Agens urbaner Lebenswelten: Musiksoziologische, musikethnologische und organologische Perspektiven, Leipzig 2012, S. 225–236.

Kaden, Christian: Musik und Heimat. In: Was hat Musik mit Klang zu tun!? Aufsätze zur Musikethnologie und Musiksoziologie, Bicher K (Hrsg.), Berlin 2020, S. 127-146.

Kittler, Friedrich, Macho T, Weigel S (Hrsg.), Zwischen Rauschen und Offenbarung: zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme, Berlin 2008.

Macho, Thomas: Stimmen ohne Körper. Anmerkungen zur Technikgeschichte der Stimme. In: Kolesch Doris, Krämer, Sybille: Stimme. Annäherung an ein Phänomen, S. 130-146.

Mersch, Dieter: Präsenz und Ethizität der Stimme. In: Kolesch Doris, Krämer, Sybille: Stimme. Annäherung an ein Phänomen, S. 221-236.

Semester: WiSe 2020/21