Auf den ersten Blick scheint die Sache klar zu sein: Kultur ist das, was Menschen erschaffen – Natur ist das, aus dem sie schöpfen, die aber auch ohne sie existieren kann. In „cultura“ steckt die Urbarmachung des Bodens als ursprüngliche Weltaneignung des Menschen, in „natura“ die selbsttätige Dynamik als Entstehungsprozess der Materie. Aber wie unkulturell ist Letzeres in ihren natürlichen Vorgängen tatsächlich, wie unnatürlich der Mensch in seinen kulturellen Handlungen? Wie kann die Nahtstelle dieser Ur-Dichotomie menschlicher Daseinsorientierung genauer vermessen werden? Was geht bei Kultur/Natur vom Slash aus – eher Abgrenzung und Trennung oder ein strukturelles Aufeinander-Angewiesensein? Gibt es jenseits der Polarität ein Drittes, eine Synthese und wie kann man sie benennen? Das sind nur einige Probleme, die das Seminar auf Basis von anregenden Annäherungen aus Kulturwissenschaft, Philosophie, Ethnologie, evolutionärer Anthropologie etc. – von Immanuel Kant bis zu Philippe Descola – zu verhandeln beabsichtigt. Dabei gilt es auch perspektivisch zu fragen, inwieweit die Unterscheidung heute im Anthropozän noch relevant ist.  

 

Literatur

Philippe Descola, Jenseits von Natur und Kultur, Frankfurt am Main 2013 (frz. Orig. 2005); Albrecht Koschorke: Zur Epistemologie der Natur/Kultur-Grenze und zu ihren disziplinären Folgen, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literatruwissenschaft und Geistesgeschichte 83 (2009), S. 9-25; Volker Sommer, Kulturnatur, Naturkultur. Argumente für einen Monismus, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie 5 (2011), S. 9-39; Michael Tomasello, Die kulturelle Anpassung des Menschen, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie 5 (2011), S. 41-68.


Semester: WiSe 2020/21