Was hat die Naturgeschichte oder „Naturhistorie“ (natural history) mit dem Studium der Vergangenheit zu tun? Wie hängen Geologie und Mineralogie, Paläontologie, Botanik und Zoologie mit dem Studium von Texten, Bildern und Bauwerken, von Politik, Recht, Kultur und Wirtschaft zusammen? Das Seminar zeigt, dass „Historia“ bis ins 19. Jahrhundert weder einen bestimmten Forschungsgegenstand (die Vergangenheit) noch eine spezifische Disziplin (die Geschichtswissenschaft) bezeichnete, sondern sich vielmehr auf eine Methode der Wissensproduktion bezog. „Historische“ Analysen verbanden empirische Beobachtungen mit der Analyse klassischer Schriften, widmeten sich Welt und Buch zugleich, waren Erzählung ebenso wie Theorie. Das Seminar zeichnet die Entstehung und Entwicklung dieses weiten, systematischen Geschichtsbegriffs nach, von der „wissenschaftlichen Revolution“ im 17. Jahrhundert bis zur Herausbildung der Geschichte als einer modernen akademischen Disziplin. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Bedeutung von Wundern, dem Begriff der Tatsache und dem Auftauchen der Fußnote. Das Seminar historisiert es die Trennung der Natur- und Geisteswissenschaften und bietet, indem es den Wandel wissenschaftlicher Praktiken und Erkenntnistheorien beleuchtet, zugleich eine Einführung in die Wissenschafts- und Wissensgeschichte. Die Bereitschaft zu englischsprachiger Lektüre wird vorausgesetzt.


Zur einführenden Lektüre:
Gianna Pomata & Nancy Siraisi (Hg.), Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe, Cambridge, MA 2005.
Lorraine Daston & Katharine Park, Wonders and the Order of Nature, 1150–1750, New York 2001.
Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1976.

Semester: WiSe 2020/21