Lesen ist mehr und anderes als das „Verwandeln von Schrift in Sprache“ (Klaus Weimar). Es wird durch Unterricht mit Lesefibeln ermöglicht, in hermeneutischen Übungen geschult, laut und leise vollzogen, in einsamer Zurückgezogenheit betrieben oder sozial organisiert. Wie gelesen wird und was, hängt dabei nicht allein von individuellen Vorlieben ab, sondern auch von Medien und Märkten, außerdem von ästhetischen Stimulationen, die sich genrespezifisch ausprägen. Dass Autoren seit dem späten 18. Jahrhundert erhöhten Aufwand trieben, um ihre Leser – in der Mehrzahl Leserinnen – so gut zu trainieren, dass die das Ungeschriebene mitlasen, war Folge und Antrieb einer zweiten Leserevolution, die neben solchen Techniken und Tricks der Leserbindung auch eigene Theorien des Lesens gedeihen ließ. – Ihnen wird das SE sich zuwenden, um zunächst nach den sozial- und medienhistorischen Umbrüchen zu fragen, die das Interesse an der methodischen Kontrolle wie am subversiven Potenzial von Lektüreakten erklären. Der Schwerpunkt soll dann auf Literaturtheorien des 20. und 21. Jahrhunderts liegen, die das Lesen als Praxis der Kritik begreifen, die Lust am Text feiern, Fehllektüren produktiv machen, sondieren, was Maschinen lesen können, wenn Texte neuerdings in großer Zahl als Digitalisate zur Verfügung stehen. Einbezogen werden in die Diskussion auch literarische Beispiele, die um glückende und misslingende Akte des Lesens kreisen. 


Das SE wird in einer Mischung aus synchronen und asynchronen Elementen durchgeführt. Vorgesehen sind wöchentliche Zoom-Sitzungen.



Semester: WiSe 2020/21