Das Forschungsseminar widmet sich dem komplexen Verhältnis zwischen transnationalen Militärkulturen, ihren (legal) operierenden Mitgliedern und der ethischen Frage nach der persönlichen Legitimierbarkeit gewaltförmiger Handlungen. In modernen Gesellschaften werden bestimmte Berufsgruppen wie Soldaten geschult, im Einsatzfall durch potenziell tödliches Gewalthandeln gegen Personen feindlicher Armeen vorzugehen und deren körperliche Integrität zu verletzen (F. Pohlmann). Waffen stellen dabei materialisierte Übersetzungen der realen absoluten Tötungsmacht dar. Sie transportieren vielfältige symbolische Botschaften, die prägnante kulturhistorische Vorläufer haben und den militärischen Rang, sozialen Status, die geschlechtliche Identität/Männlichkeit/Maskulinität (P. Bourdieu, C. Enloe, R. Seifert), Sexualität/Potenz und die Religiosität ihres Trägers oder ihrer Trägerin betreffen können (U. Everts Eisenbraut). Die staatliche Lizenz zum Töten ist in ein kompliziertes Netz aus Herrschaftsansprüchen, Gewaltmonopolisierung (Th. Hobbes) und territorialer Rechtssicherheit sowie Gesetzen, Befehlen und Auflagen eingebunden, das vorsätzliches Töten ausschließen, effektive Wehrhaftigkeit zugunsten der eigenen Landsleute jedoch ermöglichen soll.

Soldaten und Soldatinnen erleben ihre Gewalttaten – trotz deren militärsoziologischer Legalität – nicht selten als überwältigende Belastung, Ursache für psychische Irritationen oder soziales Stigma (S. Freud, P. Plaut, C. Negro). Internationale Gewalt- und Traumaforschung sowie Kulturwissenschaften erforschen seit langem die Effekte, die die Spannung zwischen Legalität, Legitimität und Lizensierung von Tötungsmacht und eigener Versehrbarkeit zeitigt (B. Ehrenreich, G.L. Mosse, K. Theweleit). Entlang von theoretischen Texten, Egodokumenten, visuellen Quellen und filmischen Dokumentationen untersucht das Seminar verschiedene Rollenbilder sowie Fremd- und Selbstwahrnehmungen von Soldaten im und außerhalb des Heers. Welche Funktionen haben folgende soldatische Negativbilder, die heldisch-patriotische Aufladungen torpedieren: Feiglinge/Verräter/Deserteure/Wehrkraftzersetzer (R. Buchterkirchen), Kriegsgefangene, Traumatisierte, Selbstmordgefährdete oder Cross-Dresser (M. Dammann), Mörder (K. Tucholsky, E.B. Sledge), Folterer/Kriegsverbrecher, Vergewaltiger (J. Bourke), exzessive Amokläufer oder Aussteiger? Und inwiefern sind sie durchsetzt von der Unterscheidung zwischen sich opfern, geopfert werden oder Täter/in sein (S. Goltermann)?

Die im Seminar analysierten kulturellen Bilder des Soldatischen beziehen sich auf unterschiedliche internationale Konflikte, imperiale und (post-)koloniale Kontexte, pazifistische oder auch rassistische Konzepte (J. Dower) sowie Verletzungen des humanitären Völker- und Menschenrechts (T. Dannenbaum), die westliche und nicht-westliche Sphären umfassen. Der Bogen der konkret zu erforschenden medialisierten Figuren reicht von offiziell verpflichteten Soldaten und Soldatinnen über paramilitärische, Widerstands- und Guerillakämpfer bis hin zu Kinder- und Zivilsoldat/innen und Kampfdrohnenführern. In der modernen Kriegsführung scheinen die Trennlinien zwischen Kombattanten und Zivilist/innen, Feinden und Freunden, Äußeren und Inneren, Angreifern und Verteidigern, Schuldigen und Unschuldigen zunehmend zu diffundieren.


Semester: WiSe 2020/21