Die Rezeption der mittelalterlichen Medizin schwankt zwischen Faszination und Schauder. Ihre medizinischen Handlungen, wie der Aderlass, werden oft als sinnlose Foltermethoden rezipiert. Zeitgleich erfreuen sich Filme wie „Der Medicus“ großer Popularität und auch Rowlings „Harry Potter“ kommt nicht ohne die Rezeption mittelalterlicher Rezepte aus, Dinkelkekse a la „Hildegard von Bingen“ haben Konjunktur. Die Pestwelle des 14. Jahrhunderts ist noch immer in Redewendungen wie „hassen wie die Pest“ und „jemandem die Pest an den Hals wünschen“ wirkmächtig und tief in unserem kollektiven Gedächtnis verankert. 

Doch mittelalterliche Medizin war viel mehr, als lediglich die Behandlung von Krankheiten. Hinter ihr verbirgt sich gleichsam eine philosophische, holistische Weltsicht. Der Mensch als kleine Welt, der als Abbild der großen Welt immer auch die Auswirkungen seines Fehlhandelns zu spüren bekam, war als Individuum Teil seines eigenen Schicksals. Auf der Basis paganer Autoren schufen islamische und christliche Ärzte dabei durch jeweilige Rezeption und Übersetzung als Wissenschaftsgemeinschaft den gemeinsamen Weg, um Menschen zu heilen. Globalisierung, #Fridaysforfuture, Avernalikör und Psychosomatik – ist mittelalterliche Medizin und Weltsicht tatsächlich so weit von uns entfernt, wie wir glauben?

Ziel des Seminars ist es, anhand von verschiedenen Quellen die Entwicklung der Medizin von 500-1500 nachzuvollziehen, ihre Wirkweise und Philosophie zu verstehen, und die Teilnehmer zu befähigen, mit diesem hochkomplexen Thema souverän umgehen zu können. Das Einüben von Quelleninterpretationen steht klar im Vordergrund. Dabei widmen wir uns Enzyklopädien, Bildern, Briefen, Chroniken, Rezepten, Lehrbüchern der Medizin, den populären Akteuren der Medizingeschichte und ihren Ideen.

Voraussetzungen: Neugierde und Lesefreudigkeit

Semester: WiSe 2021/22