Die versuchsweise Engführung der kulturellen Akteure Richard Wagner und Madonna (eigentlich Madonna Louise Ciccone, *1958) steht im Zeichen der These, dass Charisma seit Wagner nicht mehr an einzelne Personen, sondern an Medien und an performative Effekte (Audio-Charisma) überantwortet wird und ‚Madonna‘ diese Charisma-Strategie professionalisiert hat. Die Vorlesung diskutiert Souveränitätsgesten und die Sozialisierung von Selbstbezüglichkeit, die überraschende Verwandtschaften zwischen Wagner und Madonna erkennen lassen wird. Die herauszuarbeitende Verquickung von visionärem Charisma mit prosaischen Perfektionsansprüchen an Führung und Organisation, die kaschiert werden, da Charisma für sich selbst wirken soll, lenkt den Blick auf Grundwidersprüche künstlerischer Artikulation. Kurz gefaßt: Während Wagner Charisma für sich beanspruchen möchte, es aber auf das Musiktheater ‚verteilt‘ ist und Kunst und Leben systemisch nicht mehr in Einklang gebracht werden können, liegt der Fall bei Madonna anders. Hier ist Charisma hochgradig personalisiert, obwohl Allen klar ist, dass es sich um ein Konstrukt desunterhaltungs-industriellen Komplexes handelt, wobei diese Einsicht einkalkuliert ist und wiederum in die Charisma-Produktioneinfließt.

Die Vorlesung erprobt eine post-subjektivistische Annäherung an Wagner und Madonna, die an neue musikstrukturalistische, kultur- und medienwissenschaftliche Lektüren von Musik, Klang und Performativität anknüpft. Die Herausforderung besteht darin, Rekursivität und das aus ihr hervorgehende Charisma auch in den medialen Formaten und ästhetischen Formen aufzuspüren, die in den Aufschreibesystemen ‚Wagner‘ und ‚Madonna‘ mobilisiert werden.

Literatur:

Stefan Breuer, Bürokratie und Charisma. Zur politischen Soziologie Max Webers , Darmstadt1994.

Theodor W. Adorno, Versuch über Wagner , in: Die musikalische Monographien ,Frankfurt/M. 1977 (Gesammelte Schriften, 13), S. 7-148.

Johanna Dombois/Richard Klein, Richard Wagner und seine Medien. Für eine kritischePraxis des Musiktheaters , Stuttgart 2012.

Alain Badiou, Cinq leçons sur le 'cas' Wagner , Caen 2010 (engl. 2010, dt. 2012).

Tobias Janz (Hrsg.), Wagners Siegfried und die (post-)heroische Moderne . Würzburg 2011(Wagner in der Diskussion, 5).

Robert Miklitsch, From Hegel to Madonna: Towards a General Economy of "CommodityFetishism ", New York 1998 (Suny Series, Postmodern Culture).

José I. Prieto-Arranz, „The Semiotics of Performance and Success in Madonna”, in: Journalof Popular Culture , 2012 Feb, Vol.45(1), pp.173-196.

Boris Voigt, “Charismatische Gesten - Empfindungszwang und emotionale Überzeugung inRichard Wagners musikdramatischer Konzeption“ in: Richard Wagner: musikalische Gestik - gestische Musik , hrsg. von Katrin Eggers, Ruth Müller-Lindenberg, Würzburg 2017 (Wagner in der Diskussion, 14), S. 133-155.

Semester: SoSe 2020