Zur kleinen Form. Dreckige Bilder, scharfe Töne in Zeiten der Corona-Krise

... in Zusammenarbeit mit der Film/Video-Klasse der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main

Ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Formen. Daher der Programmwechsel; die Reihenfolge wird gewissermaßen umgedreht, wir arbeiten uns nicht von den radikalen filmischen Versuchen, die gesellschaftliche Aufbrüche seit den 1960er Jahren flankierten, in die Gegenwart vor (das Seminar zum Dritten und Vierten Kino wird auf das WiSe 2020/21 verschoben), sondern gehen von Aktualität und Experiment aus. Die Frage lautet aber ebenso: Was sind radikale Filmpraxen in der Gegenwart? Was für eine „cinematic agency“ beobachten wir? 

Bei diesem Umschwenken steht das forschende Lernen im Zentrum. Und die Frage nach der kleinen Form (vor allem im Rückgriff auf Deleuze/Guattari, aber auch Roland Barthes und Walter Benjamin dürfen Pate stehen, ebenso wie die Frage nach einem produktiven Rückgriff zu als „weiblich“ konnotierten literarischen Praktiken oder auch (experimentellen) filmischen Erkundungen von Innenräumen (Duras, Akerman usw.). Die Quellen für die Erforschung und Befragung von Praktiken radikaler minoritärer Bewegtbildnutzungen sind dabei das, was die meisten von uns von Zuhause aus erreichen können in Zeiten geschlossener Bibliotheken, Archive, Kinos, Museen usw.: das Internet. Nicht nur, dass audiovisuelle Formen unter den Konditionen des Containments ganz offenkundig eine Schlüsselrolle spielen, dass die Digitalisierung aller möglichen Lebensbereiche im Moment einen rasanten Aufschwung erlebt, sondern es passiert eben auch Kleines, Zeugs unter dem Radar der größeren Programme, staatlichen Maßnahmen, Krisen-Dispositive und disziplinar- und kontrollgesellschaftlichen maschinischen Verkettungen: Skurriles, (scheinbar oder zu) Privates, Indiskretes, Anekdotisches, das in sich doch Keime der Zeit birgt. Knappe, flache, und billige Formate, pointiert in kürzester Sequenz, Transporte momenthafter Ausschnitte und Eindrücke, die an das benjaminsche Credo des kleinen Einzelmoments als Kristall des Totalgeschehens erinnern. Birgt die Ereignislosigkeit, welche die üblicherweise immer höher aufgelösten und schneller zirkulierenden Bildwelten gegenwärtig prägt, das Potential „anderer“ Bilder? Wir suchen nach nichts anderem als den Potenzialen digitaler Mikroformate der Gegenwart.


Lehrformate werden synchron und asynchron sein. Zur Verfügung stehen auf Moodle Literatur, Filmmaterial bzw. Filmhinweise. Hier werden auch synchrone Zeiten (Zoom u.a.) angekündigt. Im Verbund mit der Film/Video-Klasse der HFG Offenbach sollen neue Kollaborationen entstehen.

Auch in den Lehrformaten spiegelt sich diese außergewöhnliche Zeit. Es soll versucht werden, diese nutzbar zu machen, indem neue Formate erprobt werden. Wir improvisieren zusammen (zusammen Lesen auf Zoom, Wochenaufgaben, der Besuch einer online masterclass ihn Nyon, online Gespräche statt Vorträge...), tauschen Methoden und Funde jede Woche aus. Dabei evaluieren wir, was wir (verstanden) haben, was wir brauchen, welche Fragen neu entstehen etc.


Semester: SoSe 2020