Diesen Kurs in AGNES anzeigen.

Um im digitalen Zeitalter auskunftsfähig bzgl. Medien zu sein, bedarf es einem geisteswissenschaftlichen Werkzeugkastens, der zunächst technische Bedingungen freilegt und dann mit diesem Wissen die Prozesse untersucht. Deshalb soll in diesem Bachelor-Seminar pro Unterrichtseinheit ein Buzzword, wie etwa Digital oder Simulation, behandelt werden. Ziel des Seminars ist es, Termini in Bezug auf den Computer gemeinsam zu erarbeiten. Die binäre Tonaufnahme und deren digitale Reproduktion bietet dabei einen geeigneten Rahmen:

Spätestens mit Edisons Phonograph (1877) trat ein Artefakt in Erscheinung, welches der vergänglichen Zeitgestalt der Musik widersteht. Jene Maschine besetzt den Raum zwischen Klangquelle und -ziel, speichert das akustische Ereignis auf dessen zylindrischem Tonträger und gibt es zeitversetzt wieder ab. Diese analoge Tonaufnahme, die sich als kontinuierlich eingeschriebene Wellen bei den Phonoobjekten findet, jedoch auch als transformiertes, elektromagnetisches Potenzial auf dem Tape, erhält den Status des lacanischen Realen. Doch was geschieht, wenn das aufzunehmende Akustische diskretisiert wird und infolgedessen die Gestalt des Kontinuierlichen gegen den binären Code eintauscht? Würde man hier lediglich den Speicherzustand betrachten, so ließe sich die binäre Tonaufnahme vermeintlich als eine symbolische bezeichnen. Doch da Speichern ein Prozess ist (Aufzeichnung), gefolgt von einem (Speicher-)Zustand, gefolgt von einem Prozess (Wiedergabe) kommt es zu einer Paradoxie: der Syncphonie. Während zuvor der Sound in Tonkonserve, Schellak-Platte oder Tape materialisiert wurde, um Wiederstand gegen die Vergänglichkeit zu erzeugen, gibt es beim Digitalen keinen definierten Speicherzustand. Denn der binäre Code, ein materialloses Konzept, kann in jeglicher Form beschrieben werden; als elektromagnetische Spannungen auf einem Tape oder als „Loch / kein Loch“ auf Vinyl – um nur zwei Beispiele zu nennen. Und obwohl das vormals akustische Ereignis als sequenzieller Code auf irgendeine Weise gehalten wird, erzeugt der Computer bei der Wiedergabe eine phänomenologisch exakte Wiederaufführung; das Reale im Sinne Lacans, welchem es, im Gegensatz zum Symbolischen, an nichts fehlt.

Semester: SoSe 2020