ACHTUNG: Das Proseminar fängt erst am 25.10. an.

Kursbeschreibung:

Versteht man mit Horkheimer Emanzipation als die „Aufhebung des gesellschaftlichen Unrechts“, so stellt sich die Frage, ob gesellschaftliches Unrecht ohne Recht bzw. ohne Rechte aufgehoben werden kann. Interessanterweise war Emanzipation ursprünglich ein Rechtsbegriff: Im römischen Recht bezeichnete emancipatio denjenigen Vorgang, kraft dessen das männliche Kind aus dem Joch der väterlichen Gewalt freilassen und somit zu einem rechtsfähigen Vollbürger gleichgestellt wurde. Emanzipation bedeutete das Erlangen von Rechtsfähigkeit, sodass das emanzipiert Subjekt zum selbständigen Träger von Rechten und Pflichten wurde. Gewiss: Im Laufe der Geschichte hat der Emanzipationsbegriff sich dergestalt angereichert, dass dessen Bedeutung sich nicht mehr auf bloße Rechtsfähigkeit reduzieren lässt. Dabei ist der Anspruch auf Emanzipation dennoch an Rechte gebunden geblieben: Rechte auf Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, das allgemeine Wahlrecht sowie Rechte auf Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit sind – um nur einige Beispiele zu nennen – emanzipatorische Errungenschaften moderner Gesellschaften. Aber Rechte, dies hat die kritische Theorie immer wieder denunziert, haben auch ein anderes Gesicht. Denkt man beispielsweise daran, dass das Recht auf Privateigentum, auf Vertragsfreiheit und auf staatliche Bestrafung gesetzeswidrigen Verhaltens als tragende Säulen der kapitalistischen Produktionsweise fungieren, dann profiliert sich auch eine antiemanzipatorische Dimension von Rechten. In Anspielung auf Hegel könnte man sagen: Gesellschaftliches Unrecht wird durch Rechte aufgehoben im Doppelsinne von negiert und aufbewahrt. Ziel des Proseminars ist es, das ambivalente Verhältnis von Emanzipation und Rechten anhand der kritischen Theorie zu erforschen. 

Das Proseminar ist in vier Teilen strukturiert: Erstens wird der Emanzipationsbegriff näher ausgeführt werden. Da Emanzipation gleichsam einen Gemeinplatz der kritischen Theorie darstellt, entgeht es häufig einer präziseren Begriffsbestimmung. Dieses Manko soll einleitend in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Autor:innen konterkariert werden (Koselleck, Jaeggi, Demirovic). In einem zweiten Schritt gilt es, auf die antiemanzipatorische Dimension von Rechten einzugehen. Hierzu sind Marx‘ Rechtskritik in Zur Judenfrage sowie ihre prominente Wirkungsgeschichte in der zeitgenössischen Debatte (Menke, Buckel, Brown) zu diskutieren. Im Anschluss daran soll drittens Marx‘ Auffassung von Rechten mit anderen Positionen der kritischen Theorie kontrastiert werden, welche das emanzipatorische beziehungsweise politische Moment von Rechten hervorheben (Balibar, Arendt, Neumann). Schließlich werden zeitgenössische Beiträge in die Diskussion einbezogen, die dazu dienen sollen, das Verhältnis von Emanzipation und Rechten als ein ambivalentes zu begreifen (Koskeniemmi, Neves, Pistor). Keine juristischen Kenntnisse werden vorausgesetzt. Wichtig ist vor allem die Bereitschaft, sich mit den Texten gründlich auseinanderzusetzen und aktiv zur gemeinsamen Diskussion beizutragen.

Kursraum: 2014B (1. OG Hauptgebäude)

Semester: WiSe 2024/25