Geopolitische Konstellationen spielen spätestens seit der Pandemie eine immer größere Rolle im Alltag, begleitet von einer Renaissance topologischer Metaphern, wie etwa der des „Westens“. Das Seminar widmet sich dieser Situation anhand eines aktuellen, konkreten Beispiels. Worum geht es? Vor dem Hintergrund multipler Krisen und geopolitischer Neuordnungen reagieren Bundesregierung und Europäische Union mit einer neuen Industriepolitik, deren Förderprogramme die Produktion digitaler Schlüsseltechnologien wie Halbleiter, Batterien oder Elektroautos vor allem in Ostdeutschland ansiedeln sollen. Der daraus resultierende industriepolitisch gesteuerte Arbeitskräftebedarf steht jedoch im Widerspruch zum aktuellen, auf Abwehr und Begrenzung ausgerichteten Migrationsdiskurs. Inwiefern geht der Versuch einer Modernisierung des deutsch-europäischen Wirtschaftsmodells mit einer Neukonfiguration des Arbeits- und Migrationsregimes einher? Wie können wir auf der Basis multiperspektivischer und lebensweltlicher Wissensbestände die Gegenwart von Arbeitsmigration und Rassismus in den aktuellen Konjunkturen der Globalisierung besser verstehen? Auch die Anthropologie hat ihren Beitrag zur Unterstützung räumlicher Hegemonieprojekte geleistet (Kolonialismus und Imperialismus), weshalb sich immer wieder die Frage stellt, für wen, wann, wo, wie und warum Geopolitik von Bedeutung ist. Wie kann ein ethnographischer Ansatz eine kritische Alternative zu klassischen geopolitischen Darstellungen bieten, die gerne vom großen Bild und der globalen Ebene der Hegemoniebildung sprechen und bestimmte Narrative von Ursache und Wirkung favorisieren?

Semester: SoSe 2024