Wer für andere spricht, droht ihnen die Stimme zu nehmen. Die politische Gegenwart ist sensibilisiert für die Gewalt solcher Vereinnahmung, insbesondere marginalisierte Gruppen sollen für sich selbst sprechen können. Demgegenüber steht die Auffassung, dass Fürsprache für demokratische Prozeduren der Stellvertretung ebenso wie für juristische Formen der Advokatur nicht verzichtbar ist. Nur wer Fürsprecher hat, besitzt überhaupt Chancen, gehört zu werden. Tatsächlich war dies auch die Position, welche die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak in ihrem legendären Text Can the Subaltern Speak? (1988) eingenommen hat.
Die Literaturwissenschaft beschäftigt sich zwar schon seit Längerem mit Fragen der Repräsentation, selten hat sie sich dem Problem der Fürsprache jedoch systematisch gestellt. Dabei ist die Behauptung, für andere sprechen zu können, im Literarischen omnipräsent und scheint mithin die Quintessenz literarischer Fiktion auszumachen. Welche Varianten des Für- und des Mitsprechens sind literarisch also erprobt? Welche Versuche gibt es, die Stimme jener zu repräsentieren, die keine Stimme haben? Und wie lässt sich die Szene der Fürsprache auf das Verhältnis von Herausgeber:innen und Autor:innen, Leser:innen, Erzählinstanzen und Figuren übertragen? Das SE erkundet Szenen der Fürsprache in der Literatur von der antiken Gerichtsrede und der modernen Staatstheorie über die sog. Volksaufklärung und dokumentarische Poetiken bis in die Debatten der Gegenwart hinein.
Arbeitsleistung: Impuls-Referat oder Thesenpapier
- Kursverantwortliche/r: Dr. Roman Widder