Ein Seminar zu Theorie und Praxis der Übersetzung aktueller Poesie aus Lateinamerika und der lateinamerikanischen Diaspora in Deutschland

„Übersetzen bedeutet, sich in jemanden hineinzuversetzen. Und auch diesem Jemand einen Raum zu geben, sich in uns hineinzubegeben“, schreibt Laura Wittner 2021. Damit verweist die argentinische Dichterin auf die Notwendigkeit, auch die persönliche (empfindsame) Ebene einer Übersetzung zu reflektieren. Übersetzen wird so als ein dialogischer, empathischer und per se offener Prozess verstanden. In ihrem Sinne wollen wir im Seminar Gedichte aktueller Autor:innen (Sergio Raimondi, Angélica Freitas, Carlos Soto Román, Laura Wittner, Rocío Cerón, Mayra Santos-Febres, Legna Rodríguez Iglesias, Julian Herbert, Giuliana Kiersz, Martín Gubbins) aus Lateinamerika, der Karibik und der Diaspora analysieren und gemeinsam ins Deutsche übertragen. Gleichwohl werden wir auch einzelne Texte früherer Generationen übersetzen, auf die sich Werke aktueller Autor:innen beziehen (Joaquín Giannuzzi, José Lezama Lima, Alejandra Pizarnik, Idea Vilariño, Ana Cristina César, Susana Thénon, Paul Leminski). Verschiedene Methoden und Theorien des Übersetzens werden vorgestellt und angewendet: Welche Unterschiede bestehen zwischen einer „wörtlichen“/philologischen und einer literarischen Übersetzung? Welche Bedeutung haben poetische Verfahren und wie wird durch sie aus der Übersetzung ein zweites Original? Dürfen digitale Übersetzungstools verwendet werden? Und welches kreative Potenzial steckt im misreading, in homophonen Übersetzungen und KI-Anwendungen? Und warum verlangen heutzutage einige Gedichte nach einer „sensitiven“ Übersetzung? Übersetzen wird hier zu einer Schule des Lesens und des kreativen Schreibens. Kontrastierend werden wir einzelne zeitgenössische deutschsprachige Gedichte, die sich ähnlicher poetischer Verfahren wie ihre Kolleg:innen aus Lateinamerika bedienen, ins Spanische und Portugiesische übertragen. Geplant sind außerdem eine Exkursion in die Berliner lateinamerikanische Szene und ein Seminarbesuch einer:s Lyrikers:in, sowie eine öffentliche Abschlusslesung.

Bibliografie (Auszug)

  • Paulo Henriques Britto. A tradução literária. Rio de Janeiro, Editora Civilização Brasileira, 2012.
  • Haroldo de Campos. Transcriação. Hg. v. M. Tápia u. T. Médici Nóbrega. São Paulo, Perspectiva, 1987.
  • Tamara Kamenszain. El libro de Tamar. Buenos Aires, Eterna Cadencia Editora, 2018.
  • Laura Wittner. Se vive y se traduce. Entropia, Buenos Aires, 2021.
  • Sergio Waisman. Borges and Translation: The Irreverence of the Periphery. Associated University Press, 2005.


Semester: WiSe 2023/24