Die Literatur war seit immer schon auch ein Medium für Effekte des Lebendigen und des Lebens. Etwa die Lyrik und ihr Lesen hängen auf vielfältige Art und Weise mit bestimmten Ereignissen und Effekten des physiologischen „Lebens“ zusammen (z.B. durch die Figurationen der in ihr sehr wichtigen Stimme). Nietzsche variierend könnte man sagen, die Lyrik dürfte das Medium der intensivsten „Stimulation zum Leben“ darstellen, welches Leben immer von seinen Ausnahmen heimgesucht wird. Sogar manifestiert dieses „Leben“ eine Art Ausnahme von der vorausgesetzten Kategorie des biologischen Lebens. Im Seminar werden einige wichtige Stationen dieses Zusammenhangs besprochen, etwa von Gottfried Benns Konzept eines „provozierten Lebens“ bis zur „biologischen Poesie“ Durs Grünbeins, mitsamt weiteren Beispielen aus den europäischen Literaturen.

Der Komplex der „Biopoetik“  ist ein brandneuer inhaltlicher und methodologischer Ansatz der Literatur- und Kulturwissenschaften. Dieser Fokus richtet sich auf die sprachlich-textuelle und mediale Repräsentation bzw. Performierung der Effekte des Lebens bzw. des Lebendigen in literarischen und kulturellen Texten. Es geht darum, wie Texte immer schon ein Wissen bzw. Mutmaßungen (Erwartungen, Wünsche usw.) über das Leben („bios“) inszenieren und verhandeln. Hierbei wird ein spezifisches Augenmerk den Grenzen des Lebens angesichts von mortifizierenden Effekten gewidmet. Die Performativität und das Politische des solcherart sprachlich inszenierten und performierten Lebens werden auch mitreflektiert. Einschlägige Texte aus der Anthropologie (etwa Helmuth Plessner), der Philosophie (etwa Giorgio Agamben) und der Literatur werden im Seminar analysiert. Das Seminar bietet Einblick in gerade laufende Untersuchungen auf einem soeben im Erschließen begriffenen Forschungsfeld.

Semester: WiSe 2023/24