In literarischen Uchronien werden fiktive Szenarien entworfen, die auf einem alternativen Geschichtsverlauf beruhen. Sie lassen sich damit als Gedankenexperimente verstehen, die eine Antwort auf die Frage suchen, was geschehen wäre, wenn die Geschichte an einer Stelle einen anderen Weg eingeschlagen hätte: Was wäre, wenn der Zweite Weltkrieg einen anderen Verlauf genommen hätte (wie in Christoph Ransmayrs „Morbus Kitahara“)? Was wäre, wenn die Wende nicht stattgefunden hätte (wie in Thomas Brussigs „Das gibts in keinem Russenfilm“)? Was wäre, wenn der erste Weltkrieg nie geendet hätte (wie in Christian Krachts „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“) oder gar nie stattgefunden hätte (wie in Hannes Steins „Der Komet“)?
Die VL wird sich diesem Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven zuwenden und dabei sowohl eine Begriffs- und Gattungsgeschichte nachzeichnen als auch thematische Schwerpunkte konkreter literarischer Uchronien herausarbeiten. Auch die Abgrenzung gegenüber Uchronien in der Geschichtswissenschaft wird eine wichtige Rolle spielen. Auf diese Weise wird sich zeigen, dass literarische Uchronien nicht nur ein (mitunter durchaus amüsantes) Spiel der Phantasie sind, sondern in den meisten Fällen eine intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, aber auch mit der Gegenwart herausfordern.

Semester: WiSe 2023/24