Was bedeutet es, Kritik zu üben und was zeichnet eine kritische Praxis aus? Abgeleitet vom altgriechischen Adjektiv »kritikos« wird Kritik zumeist als Praxis des Urteilens gedacht: Sie ist Reaktion auf ein Bestehendes, dessen Unzulänglichkeiten sie aufzuzeigen sucht und dessen Veränderung zum Besseren ihr Telos ist. Mit »Was ist Kritik?« (1978) schlägt Michel Foucault eine andere Vorgehensweise vor. Er gibt zu verstehen, dass es ihm um eine Praxis geht, die nicht nur »den grundlegenden Gesichtspunkt des Gesetzes eliminiert«, sondern allen voran ein ethisches Moment umschreibt: »Es gibt etwas in der Kritik, das sich mit der Tugend verschwägert.«
Das Seminar nimmt Foucaults Text zum Ausgangspunkt, um gemeinsam mögliche Verknüpfungen von Kritik und Ethik auszuloten. Wir wollen nach kritischen Praxen fragen, die ein Bestehendes nicht verurteilen, sondern in der Aussetzung des Urteils eine neue Praxis von Werten eröffnen. Das Seminar gliedert sich dazu in drei thematische Abschnitte: Der erste Block zeichnet die Engführung von kritischer Praxis und Ethik nach, die von Foucault im Begriff der »kritischen Haltung« angelegt ist und in seinen späteren Schriften zur Homosexualität Kontur gewinnt. Mit einer dialogischen Lektüre von »No Future: Queer Theory and the Death Drive« (Lee Edelmann) und »Cruising Utopia. The Then and There of Queer Futurity« (José Esteban Muñoz) geht der zweite Block der Frage nach, ob und inwieweit der exzentrische Charakter queerer Beziehungsformationen gesellschaftliche Zukünfte antizipieren kann. Der dritte Block wendet sich Figurationen von kritischer Praxis im Feld der Black Studies zu. Mit W.E.B. Du Bois, Nahum Chandler und Denise Ferreira da Silva zeichnen wir die Grenzen nach, die die Position des kritischen Subjekts als »Erste-Person-Singular« einer kritischen Ethik auferlegt. In Anschluss an Fred Motens und Stefano Harneys Begriff der »Undercommons« (2013) diskutieren wir, ob und inwieweit ein ethischer Zugriff auf kritische Praxis es letztlich verlangt, »die Kritik abzubauen«.

Mit Texten von: Michel Foucault, Judith Butler, Eve Kosofsky Sedgwick, Lee Edelmann, José Esteban Muñoz, W.E.B. Du Bois, Nahum Chandler, Denise Ferreira da Silva, Fred Moten und Stefano Harney

Semester: WiSe 2023/24