„Seit der Aufklärung haben uns die westlichen Philosophen von einer Natur gesprochen, die großartig und universell, aber auch passiv und mechanisch ist. Natur lieferte die Kulisse und war Quelle für die moralische Intentionalität des Menschen, der sie zugleich zu zähmen und zu beherrschen wusste.“ So schreibt Anna Lowenhaupt Tsing in Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus (2018): „Etliche Ereignisse haben dazu beigetragen, diese Arbeitsteilung auszuhöhlen. Erstens:  Die Bestrebungen, die Natur zu zähmen und zu beherrschen, haben ein derartiges Unheil angerichtet, dass es nun fraglich ist, ob das Leben auf der Erde überhaupt weiterbestehen kann. Zweitens: Verwicklungen zwischen den Arten, die einst in das Reich der Fabeln gehörten, sind nun Stoff ernsthafter Erörterungen von Biologen und Ökologen, die darlegen, dass für das Leben ein Zusammenspiel von zahlreichen Lebensformen erforderlich ist. Der Mensch kann nicht überleben, wenn er auf allem anderen herumtrampelt.“ – Bereits an diesem Zitat lässt sich das nicht ganz einfache Verhältnis von Kultur und Natur erahnen. Für das Studium der Kulturwissenschaft lassen sich folgende Fragen formulieren: Inwiefern ist das Verhältnis von Natur und Kultur historisch bedingt, wie hängen Naturgeschichte und kulturelle Prozesse zusammen? Ist die Natur das sog. Andere der Kultur? Gibt es überhaupt eine trennscharfe Grenze zwischen Natur und Kultur und welche Akteur:innen werden den damit einhergehenden Sphären zugeordnet? Gibt es nur eine Natur oder sollte man besser mit einer Pluralisierung des Begriffes arbeiten? Welches Wissen von Natur(en) wird durch die Wissenschaften generiert, welche Technologien und Medien kommen dabei zum Einsatz? Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff der Naturbeherrschung? Welcher Naturbegriff ließe sich eigentlich für die Gegenwart formulieren? Im Verlauf des Seminars wollen wir diese und weitere Fragen gemeinsam diskutieren. Die Lehrveranstaltung versteht sich als kritische Einführung in den besagten Problemzusammenhang, der durchaus grundlegenden Charakter für das kulturwissenschaftliche Studium besitzt.

Semester: WiSe 2023/24