Die Reformation war ein entscheidungskulturelles Experimentierfeld: Es wurde eine neue Pluralität religiöser Entscheidungsoptionen diskutiert, aber auch debattiert, ob man sich überhaupt zu entscheiden habe. Waren Glaubensfragen individuell oder kollektiv überhaupt entscheidbar bzw. wurden sie dies in der Reformation? Zwar propagierte die reformatorische Polemik von Beginn an einen scharfen Dualismus zwischen wahrer und falscher Kirche, doch neben der Vielzahl noch fluider Bekenntnisoptionen war ungeklärt, wer sich wie und mit welchen Gründen für oder gegen die Reformation entscheiden konnte oder musste. Individuen oder Gruppen wie die Humanisten sahen sich anderen Entscheidungsproblemen konfrontiert als die Magistrate der Städte; neue Quellengenres (etwa reformatorische Dialogflugschriften) und neue Entscheidungsforen (städtische und territoriale Religionsgespräche) belegen die Unklarheit der Situation und die Brisanz der reformatorischen Erfahrung. Im Seminar soll, ausgehend von einigen konzeptionellen Entwürfen zum Problem des Entscheidens, quellennah versucht werden, die Probleme genauer zu konturieren und einer Beantwortung der genannten Fragen näherzukommen.
Semester: WiSe 2023/24