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Seit Didier Eribons Rückkehr nach Reims (2009) hat das autofiktionale Schreiben eine immer größere Popularität erreicht. Ein eindrucksvolles Zeugnis davon legten zuletzt die großen Preisverleihungen des Jahres 2022 ab: Der Nobelpreis für Annie Ernaux und der Deutsche Buchpreis für Kim de l’Horizons Blutbuch (2022). Die Popularität des autofiktionalen Schreibens sieht sich dabei einer mehrfachen Kritik gegenüber: So ist sie augenscheinlich geeignet, die Autorfunktion des literarischen Betriebs zu stärken, scheint den Blick damit weg von den textuellen Verfahren und hin auf die erzählten Geschichten zu lenken und legt politischen Diskursen Strategien der Viktimisierung nahe. Andererseits hat der Trend zur Autofiktion in den letzten Jahren nicht-weißen Autor:innen bzw. Autor:innen mit Migrationsgeschichte zu erhöhter Aufmerksamkeit verholfen. Zudem ist die Rückkehr der Klassenfrage in den öffentlichen Diskurs ebenso eng mit dem Genre verbunden wie die Selbstkritik literarischen Institutionen.
Ein Teil der autofiktionalen Prosa wird mittlerweile mit einem eigenen Gattungstitel belegt und als Autosoziobiographie bezeichnet, wobei die Anfänge der Gattung zwischen migrantischen Perspektiven und akademischer Soziologie in Frankreich verortet werden können. Im SE wird zunächst diese Entstehung der Gattung im Kontext soziologischer Theoriebildung zur Kenntnis genommen, um sodann deutschsprachige Varianten autosoziobiografischen Schreibens in der Gegenwart kennenzulernen.

Semester: SoSe 2023