Im Zentrum des Seminars stehen mittelalterliche Schilderungen des Sammelns und Präsentierens konkreter staunenswerter Objekte und fremdartiger Wesen. Seit dem Hochmittelalter handeln narrative Texte von der Zusammenstellung außergewöhnlicher Exponate, welche Faszination und Verwunderung von Figuren und zeitgenössischen wie modernen Rezipierenden gleichermaßen auf sich ziehen: Beispielsweise im Alexanderroman oder in der Erzähltradition zum Herzog Ernst, aber auch in anderen narrativen Zusammenhängen werden Mirabilien zusammengestellt, in eigens dafür vorgesehenen Räumen gezeigt und auf diese Weise miteinander verknüpft.

Transmedialen und transdisziplinären Perspektiven auf diese erzählten akkumulierenden Praktiken wird im Seminar besonderes Interesse zukommen: Die jüngere museumswissenschaftliche Forschung hebt hervor, dass konkreten Sammlungen und Ausstellungen eine narrative Dimension eigen ist. Damit erhält die Frage nach dem textuellen Umfeld konkreter Sammlungen und Ausstellungen besondere Aufmerksamkeit, und es eröffnet sich überdies die Möglichkeit, die narrativen Dimensionen von Sammlungen in unterschiedlichen Medien (etwa in konkreten Sammlungen, visuell repräsentierten Sammlungen und in Sammlungen in textueller Form) aufeinander zu beziehen. Schriftliche Überlieferungen, z. B. antike und mittelalterliche Darstellungen von Mirabilien, stellen nicht nur im allgemeinen Sinne kulturelles Wissen zur Verfügung, auf das Sammlungen des Mittelalters aufbauen können. Vielmehr steht zu vermuten, dass auch ihre Erzählformen die Formen der Verknüpfung von Exponaten beeinflussen, die in konkreten Sammlungen und Ausstellungen vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund werden wir untersuchen, welche Formen des Erzählens, mithin des Verknüpfens von präsentierten Objekten, erzählte Sammlungen aufweisen und wie die erzählten Räume beschaffen sind, in denen Exponate bewahrt, präsentiert und bestaunt werden.

Im Seminar werden zunächst Begriffe wie Schatzkammer, Wunderkammer, Museum, Sammlung und Ausstellung thematisiert sowie die Phänomene, die seit dem Mittelalter mit diesen Begriffen bezeichnet werden können. Anschließend wird es um die narrativen Aspekte gehen, die konkrete Sammlungen und Ausstellungen auszeichnen. Nach diesen Vorklärungen stehen erzählte Sammlungen in mittelalterlichen literarischen Texten im Zentrum des Interesses. Beispiele aus der frühneuzeitlichen und der modernen Literatur werden das Seminarprogramm ergänzen.

Die zentralen Arbeitsformen des Seminars sind Impulsreferate und ausführliche Diskussionen der Primär- und Forschungstexte im Plenum. Abgabetermin für Hausarbeiten in diesem Kurs ist Freitag, der 01.09.2023.

 

Als einführende Lektüre wird empfohlen: Jutta Eming und Marina Münkler: [Einleitung] Wunderkammern – Materialität, Narrativik und Institutionalisierung von Wissen, in: Wunderkammern. Materialität, Narrativik und Institutionalisierung von Wissen, hg. v. dens., Falk Quenstedt und Martin Sablotny, Wiesbaden 2022, S. 1–18.

Semester: SoSe 2023