Türen sind Medien: Mehr oder weniger geräuschlos regeln sie den Verkehr zwischen Innen und Außen; tragen den flexiblen Wechsel von Öffnen und Schließen in die starre Unterscheidung der Grenze ein; markieren Räume als privat oder öffentlich, bestimmen über Zugehörigkeit und Ausschluss, verbergen oder geben Verborgenes zu sehen. Und Türen sind, fernab der Aufmerksamkeit, die den dramatis personae zufällt, heimliche Protagonisten der Literatur: Was in literarischen Szenen ritueller Schwellenüberquerung beginnt und mit der Inszenierung von Fall- und Tapetentüren in die Unter- und Abgründe der Romantik führt, wird schließlich in den bürokratischen Labyrinthen einer Literatur der Moderne seinen vorläufigen Höhepunkt finden – nicht nur in den Texten Kafkas, dessen Figuren bekanntlich immer wieder und an entscheidenden Stellen vorsichtig an Türen klopfen oder mit der Faust daran schlagen, ratlos davor verharren oder scheinbar grundlos die nächste Tür wählen. In methodischer Hinsicht wird es im Seminar darum gehen, medien-, architektur- und kulturgeschichtliche Aspekte für die Lektüre literarischer Texte produktiv zu machen. In praktischer Hinsicht soll – als Grundlage gemeinsamer Analyse und Diskussion – die Recherche literarischer Texte sowie eine Präsentation der Fundstücke als Studienleistung ins Seminar eingebracht werden. Ziel des Seminars ist die gemeinsame Arbeit an der noch ungeschriebenen Literaturgeschichte der Tür.

Semester: SoSe 2023