Die Psychoanalyse ist einer der prägendsten Diskurse für die modernen Geisteswissenschaften, aber in der Theologie – auch wegen der fundamentalen Religionskritik Sigmund Freuds – verhalten rezipiert. In dieser Lehrveranstaltung soll es mit „Seelsorge und Psychoanalyse“ um – auch spannungsvolle – Berührungspunkte zweier Diskursfelder gehen: Zwar sind viele Seelsorgeentwürfe des 20. Jh. direkt oder indirekt von Einsichten und Praktiken der Psychoanalyse beeinflusst und einzelne zentrale Praktische Theologen, allen voran der Begründer der Pastoralpsychologie in Deutschland Joachim Scharfenberg, waren selbst ausgebildete Psychoanalytiker. Trotzdem stehen theologische Ansätze, die sich bewusst auf die Psychoanalyse rückbeziehen, häufig besonders in der Kritik, was wohl am prominentesten der enorme außerwissenschaftliche Erfolg und die vielfach theologische Ablehnung der „tiefenpsychologischen“ Bibelarbeiten Eugen Drewermanns zeigen. Umgekehrt hat die Psychoanalyse zwar nur vereinzelt auf Diskurse der (praktischen) Theologie, aber vielfach auf Phänomene der Religion reagiert. In der Übung werden durch gemeinsame Lektüre und Diskussion von Primärliteratur (Freud, Jung, Pfister, Thurneysen, Scharfenberg, Drewermann und andere) mit Einführungscharakter den Wechselbeziehungen und Differenzen zwischen Psychoanalyse und Seelsorge nachgegangen. Die Leitfrage soll die nach der Bedeutung des Religiösen bzw. des christlichen Glaubens für die therapeutische Hilfe (in Seelsorge und Analyse) und nach dem in Seelsorge und Analyse zugrunde gelegten Menschenbild sein. Inwiefern braucht die Psychoanalyse den Horizont der Religion, um über die Ursachenforschung hinaus menschliche Entwicklungen anzustoßen? Inwiefern eröffnen die im Kontext der Psychoanalyse erbrachten Einsichten zum Unbewussten neue Zugänge zu den Traditionsbeständen der (christlichen) Religion? Wo sind die Grenzen und Risiken einer „tiefenpsychologischen“ Perspektive auf die religiösen Überlieferungen auch und gerade unter dem Aspekt der Seelsorge?

Semester: SoSe 2023