Die NS-Forschung beschäftigt sich seit etwa zwei Dekaden intensiv mit der Gesellschaftsgeschichte des nationalsozialistischen Regimes. Gefragt wird nach Beteiligungsgraden, Partizipationsmotivationen und Transformationsprozessen. Die Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern hat solche Perspektiven aufgegriffen und vielfach unter dem Titel „Stadt und Lager“ analysiert. Herausgearbeitet werden die vielfältigen Beziehungen zwischen den Lagern und ihrer lokalen und regionalen Umwelt, die deutlich machen, dass die KZ nicht nur integrale Bestandteile des NS-Herrschaftssystems waren, sondern in mehrfacher Hinsicht auch zum Alltag der Gesellschaft im Nationalsozialismus gehörten. Spätestens mit der Expansion des KZ-Systems in der Kriegsgesellschaft waren die Lager mit ihren Außenlagern fester und sichtbarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens im Nationalsozialismus. In und um die Konzentrationslager entwickelten sich spezifische soziale und ökonomische Beziehungen zwischen SS, Häftlingen und den anrainenden Kommunen. In den Lagern selbst entstand unter extremen Bedingungen eine Häftlingsgesellschaft, die zum einen von Solidarbeziehungen, zum anderen von Hierarchien und Konkurrenz geprägt war. Diese Häftlingsgesellschaft wird ebenso in den Blick genommen wie die Lager-SS, die als Organisationsform von Täterschaft mit eigener Sozialstruktur analysiert wird.

Der Fokus der Übung liegt – auch durch eine entsprechende Exkursion am 7.7.2023 – auf der Geschichte des KZ Sachsenhausen und seines gesellschaftlichen Umfeldes. Zugleich soll das gesamte Lagersystem mit exemplarischen Zugriffen auf andere Konzentrationslager in den Blick genommen werden. Dabei werden grundlegende Kategorien wie Raum und Geschlecht in die Analyse einbezogen. Neben der einschlägigen Literatur sollen die Studierenden auch mit unterschiedlichen Quellen arbeiten und diese in Präsentationen während der Seminarsitzungen quellenkritisch vorstellen und einordnen.

Semester: SoSe 2023