Die Frühromantiker postulierten die Konvergenz von Poesie, Philosophie und den Wissenschaften. So äußerte der Naturphilosoph Friedrich Schelling die Überzeugung, „es sey die Zeit gekommen, wo alle Wissenschaften untereinander in das genaueste und engste Bündnis treten müssen, um das höchste hervor zu bringen, ja wo selbst das Interesse der Kunst und der Poesie mit dem der Wissenschaft und umgekehrt, absolut ein und dasselbe zu werden anfängt". Zwischen 1790 und 1840 gab es eine Reihe bedeutender Naturforscher, die der frühromantischen Bewegung nahestanden und in einer Zeit, in der Forschungsmethoden wenig standardisiert waren, oft eigene Ansätze und Überzeugungen verfolgten, etwa mit Hinblick auf die Rolle der Mathematik oder die Einbeziehung ästhetischer Überlegungen. J.W. Ritter (Entdecker der UV-Strahlung) und H.C. Ørsted (Entdecker der elektromagnetischen Wechselwirkung) sind vielleicht die berühmtesten Wissenschaftler dieser später so genannten romantischen Physik. Novalis erahnte seinerseits den Elektromagnetismus, während Goethe – über dessen Zugehörigkeit zur romantischen Naturforschung sich streiten lässt – mit seiner Farbenlehre Newton widerlegen und ein einheitliches Farbsystem entwickeln wollte, das Physik, Praxis und Ästhetik gleichermaßen umfasste. Auch außerhalb der Physik gab es eine Reihe von Naturforschern mit romantischen Tendenzen, wie z.B. A. Humboldt oder L. Oken. Wir werden ausgewählte Originaltexte dieser später bisweilen verlachten und heute bis auf wenige Ausnahmen vergessenen Bewegung lesen, und zwar einerseits aus deren naturwissenschaftlicher Arbeit, andererseits aus deren philosophischer Methodenreflexion. Der Untersuchungsinteresse des Seminars wird sich dabei auf die Verfahren und Praktiken der Forschung, ideengeschichtliche Zusammenhänge und nicht zuletzt auf die sprachlichen und bildlichen Darstellungsweisen richten.

Das Seminar wird gemeinsam von Olaf Müller (Philosophie, HU Berlin), Jutta Müller-Tamm (Neuere deutsche Literaturwissenschaft, FU Berlin) und Friedrich Steinle (Wissenschaftsgeschichte, TU Berlin) geleitet. Es wird an der TU (da sie zwischen den beiden anderen beteiligten Universitäten liegt) und in Präsenz stattfinden. Sollten sich genügend Interessierte sowie die dafür erforderliche Finanzierung finden, ist im Rahmen des Seminars eine Exkursion in das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt/Main geplant.


Semester: WiSe 2022/23